Die Kunststadt Aosta von der Urzeit bis heute

Kunststadt Aosta

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Im äußersten Nordwesten Italiens liegt das Aostatal, an Frankreich und die Schweiz angrenzend. Die kleine Region ist für ihre natürliche Schönheit und den Tourismus, die zahlreichen Regional- und Nationalparks sowie die prestigeträchtigen, oft grenzübergreifende Skigebiete bekannt. Zudem finden sich im Aostatal französischsprachige Gemeindenamen – ein Verweis auf die gut 900jährige Zugehörigkeit zum Herrschaftsgebiet des Hauses Savoyen. Über die einzelnen Ortschaften der Region spricht man allerdings nur selten, außerhalb der Grenzen kennen wohl nur wenige ihre Namen. Dabei gäbe viel Spannendes zu entdecken. Die Hauptstadt Aosta – sie trägt als einzige Gemeinde des Aostatals einen zusätzlichen italienischen Ortsnamen – ist sogar eine waschechte Kunststadt mit hochspannender Geschichte und packenden Sehenswürdigkeiten. Diesen etwas versteckten und zu Unrecht vergessenen Schatz im Norden Italiens stellen wir dir heute vor.

Wie Aosta zu Aosta wurde

Wo sich heute die Hauptstadt der Region Aostatal erhebt, gab es bereits vor 5000-6000 Jahren erste prähistorische Siedlungen. Die einheimischen Salasser konnten sich mithilfe der natürlichen Alpenbarriere lange Zeit gegen die römische Invasion wehren. Im Jahr 25 v. Chr. eroberte A. Terentius Varro Murena im Rahmen der Augusteischen Alpenfeldzüge schließlich das Aostatal. Die Salasser wurden mehrheitlich als Sklaven verkauft, Augustus ließ aus einem bestehenden Legionslager die Stadt Augusta Prætoria – das heutige Aosta – gründen.

Die ursprüngliche römische Schachbrettstruktur ist noch heute in der Altstadt erkennbar. 64 Häuserblöcke (Insulae) formten das von einer Stadtmauer mit jeweils einem Tor auf allen vier Seiten umgebene Augusta Prætoria, große Bauten wurden auf vordefinierten „Schachbrettfelder“ errichtet. Nach dem Ende des Römischen Reichs kämpften die Franken und die Langobarden um das Gebiet, später ließ Karl der Große die Via Francigena nach Rom durch die Stadt errichten. 1025 erwarb Humbert I. von Savoyen die Region; sie sollte bis 1946 zum Herrschaftsgebiet gehören, auch nach der Eingliederung in das italienische Königreich im Jahr 1861. Während des Faschismus sah sich das Aostatal erzwungener Italianisierung ausgesetzt und war im Zweiten Weltkrieg eines der wichtigsten Zentren des Widerstands. Die Region erhielt nach Kriegsende ein Sonderstatut, um Autonomiebestrebungen sowie Annexionsplänen Frankreichs entgegenzusteuern. Noch heute sprechen knapp 80 % der Bevölkerung Französisch und beinahe 70 % den traditionell volkssprachlichen Dialekt Frankoprovenzalisch.

Das prähistorische Aosta

Es lohnt sich, das überaus vielfältige Stadtbild Aostas chronologisch abzuarbeiten, und so geht es – natürlich – in vorgeschichtlichen Zeiten los. Saint Martin de Corléans am westlichen Stadtrand ist eine der größten Megalithanlagen Italiens. Sie wurde im Juni 1969 entdeckt und in 22 Schichten mit einer Tiefe von bis zu sechs Metern abgetragen sowie analysiert. Auf einer Fläche von ca. einem Hektar erlebst du die Entwicklung dieser Stätte vom Ende des Neolithikums über die Kupfer- und Bronzezeit bis in die Eisenzeit mit. Man vermutet, dass die älteste Phase menschlicher Aktivitäten um 4200 v. Chr. begann. Gepflügte Furchungen deuten rituelle Handlungen an. Der eigentliche Anlagenbau setzte vermutlich zwischen 3000 und 2750 v. Chr. ein. 22 in einer Reihe gesetzte Holzpfähle – es dürfte sich laut Experten um Totems handeln – wurden angebracht, später folgten über 40 anthropomorphe Stelen. Diese dürften feierliche Denkmäler zu Ehren von Helden und Gottheiten sein. Saint Martin de Corléans ist zudem eine Nekropole. Die Bestattungsphase sollte bis in die Bronzezeit andauern, verschiedenste Grabarten und Riten konnten identifiziert werden. Vermutlich wurde die Nekropole sogar bis in die Römerzeit genutzt. Ein gewaltiger, über zwei Gebäude verteilter Museumskomplex bringt dir die Ausgrabungsstätte näher. Hier erfährst du mehr über die verschiedenen archäologischen Phasen und die Entwicklung Aostas von damals bis heute.

Römische Ruinen in Aosta

Kunststadt Aosta

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Wie bereits erwähnt, erkennst du den römischen Aufbau Aostas noch heute bei einem Streifzug durch die Altstadt. Tatsächlich überdauerten einige Strukturen und Bauwerke aus dem Altertum die Zeit, zumindest in Teilen. Die römische Stadtmauer Aostas ist ohne Frage eine Besonderheit. Sie wurde im Mittelalter weiterverwendet und überlebte wohl daher fast komplett. Sie umschließt ein rechteckiges Gebiet von 724 x 572 Metern und ist über weite Strecken über sechs Meter hoch. Zudem sind die Stadttore gen Osten und Süden noch erhalten. Das im 1. Jahrhundert n. Chr. entstandene Haupttor Porta Prætoria wurde in späteren Jahrhunderten mit Marmor bedeckt, konnte seine ursprünglichen Formen ansonsten weitestgehend beibehalten. Der Augustusbogen vor dem Tor sowie die einst über einen Fluss führende Romerbrücke Pont de Pierre stammen ebenfalls aus dieser Zeit.

Nicht alle Gebäude blieben so gut erhalten. Manche Türme der Stadtmauern mögen im Kern noch römisch sein, viele durchlebten jedoch umfassende Änderungen. So wurde der Turm von Bramafam, um ein prominentes Beispiel zu nennen, im 11. Jahrhundert auf den Ruinen einer römischen Bastion erbaut und diente den Vicomtes des Hauses von Savoyen als Residenz. Vom monumentalen, vierstöckigen Theater blieb die Südwand erhalten, auch das Forum existiert bestenfalls noch rudimentär. Ein Abstecher zum römischen Gutshof auf dem Hang oberhalb Aostas lohnt sich immer.

Weitere Sehenswürdigkeiten in Aosta

Das ist aber noch längst nicht alles, was dich bei deinem Besuch der Kunststadt Aosta erwartet. Die Jahrhunderte nach dem Ende römischer Herrschaft hinterließen selbstverständlich ihre Spuren, und so können wir dir folgende Highlights ans Herz legen:

  • Kathedrale: Die Cattedrale di Aosta wurde eigentlich im 4. Jahrhundert erbaut, verschwand allerdings ca. 700 Jahre später von der Bildfläche, um einem neuen Bau Platz zu machen. Im 15. und 16. Jahrhundert fanden weitere Modifikationen statt. Die spätgotische Gestalt, die Renaissance-Fassade, der klassizistische Vorbau aus späteren Jahren ergeben in Verbindung mit dem Mosaikfußboden und den Glasmalereien aus dem 12. und 13. Jahrhundert eine mehr als spektakuläre architektonische Mischung.
  • Sant’Orso: Auch die Wurzeln dieses ehemalige Kollegiatstifts liegen weit in der Vergangenheit – im 5. Jahrhundert, um genau zu sein. Auf eine frühromanische Kompletterneuerung folgte das heutige, spätgotische Erscheinungsbild im 15. Jahrhundert. Während die fünfschiffige, auf zwölf römischen Säulen erbaute Krypta an den Vorgängerbau erinnert, taucht der Freskenzyklus mit Szenen aus dem Leben Christi und der Apostel tief in das 11. Jahrhundert ein.
  • Ponte di Grand Arvou: Die zunehmende Besiedlung des Aostatals, in Verbindung mit Viehzucht, führte zu Engpässen in der Wasserversorgung. Der Kanal Rû Prévôt wurde im 13. und 14. Jahrhundert erbaut, zahlreiche Aquädukte sollten folgen. Zu den prächtigsten Bauwerken dieser Initiative zählt die Ponte di Grand Arvou, die übrigens immer noch in Betrieb ist.
  • Riserva naturale Tzatelet: Etwas außerhalb Aostas liegt eines der schönsten Naturschutzgebiete der Region. Hier findest viele seltene Vogelarten und vielfältige, für die Alpen ungewöhnliche mediterrane Vegetation. Auf dem Tzatelet-Hügel wurde zudem eine neolithische Nekropole gefunden, die vermutlich um 3000 v. Chr. entstand.

 

Obwohl es mit Sicherheit bekanntere Städte in Norditalien als Aosta gibt, solltest die Hauptstadt des Aostatals auf keinen Fall links liegen lassen. Das packende historische Erbe der regionalen Hauptstadt von der Urzeit über das römische Reich bis in die Spätgotik legt so manchen verborgenen Schatz offen, der genauere Betrachtung verdient. Entdecke dieses versteckte Juwel der Alpen, am besten im Rahmen eines mit Sicherheit unvergesslichen Wander- oder Skiurlaubs in der umliegenden Bergwelt.

Die Hügel des Prosecco zwischen Conegliano und Valdobbiadene

Die Hügel des Prosecco zwischen Conegliano und Valdobbiadene

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Jahr für Jahr exportiert Italien gewaltige Mengen an Prosecco – an die 90 Millionen Flaschen, um genau zu sein. Mittlerweile bezeichnet Prosecco sogar eine bestimmte Herkunft und nicht, wie bis Ende 2009 üblich, eine Rebsorte. Die Anbaugebiete von Conegliano und Valdobbiadene zählen zu den bekanntesten Prosecco-Regionen der Welt. Sie erfüllen die höchste Qualitätsstufe im italienischen Weinbau (DOCG) und können dafür auf eine Landschaft zurückgreifen, die seit Jahrhunderten speziell für den Anbau dieser Trauben geformt wurde. Seit 2019 gelten die Hügel des Prosecco zwischen Conegliano und Valdobbiadene als UNESCO-Welterbestätte. Einzigartige Szenerie und ausgeprägte Genusspfade erwarten dich bei einem Besuch.

Prosecco mit kontrollierter und garantierter Herkunftsbezeichnung

Beim Prosecco di Conegliano Valdobbiadene handelt es sich um einen Spumante, der überwiegend aus der Rebsorte Glera (Anteil von 85-100 %) hergestellt wird. Der Schaumwein darf ausschließlich in folgenden 15 Gemeinden in und rund um diese beiden Orte angebaut werden:

  • Conegliano
  • San Vendemiano
  • Colle Umberto
  • Vittorio Veneto
  • Tarzo
  • Cison di Valmarino
  • San Pietro di Feletto
  • Refrontolo
  • Susegana
  • Pieve di Soligo
  • Farra di Soligo
  • Follina
  • Miane
  • Vidor
  • Valdobbiadene

 

Neben dem Colli Asolani-Prosecco, der in der und rund um die ebenfalls in der Provinz Treviso liegenden Stadt Asolo angebaut wird, ist der Prosecco di Conegliano Valdobbiadene der einzige seiner Art, welcher die Bezeichnung DOCG tragen darf. Diese „Denominazione di Origine Controllata e Garantita“ beschreibt eine „kontrollierte und garantierte Herkunftsbezeichnung“ – die beste Qualität im Weinbau Italiens. Mit ca. 700.000 Hektoliter Wein pro Jahr – Tendenz steigend – stellen die Winzer gewaltige Mengen Prosecco her, und das in vier verschiedenen Arten: Stillwein, Frizzante, Spumante Superiore und Superiore di Cartizze.

Flickwerk auf steilen Anbauterrassen

Die Hügel des Prosecco zwischen Conegliano und Valdobbiadene, UNESCO

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Für die UNESCO ist die einzigartige Weinanbaulandschaft und das enge Zusammenspiel von Mensch und Natur ein entscheidendes Kriterium für die Ernennung zum Welterbe gewesen. Über Jahrhunderte stellte sich die Bevölkerung den großen Herausforderungen des – gelinde gesagt – schwierigen Terrains und formte dieses nach und nach zur perfekten Prosecco-Region. Besagtes Terrain nennt man im Englischen „Hogback“, was auf Deutsch so viel wie „Schweinerücken“ oder „Schildberg“ bedeutet. Dabei handelt es sich um steile, zerfurchte Hänge, die von Ost nach West verlaufen und von kleinen, parallel dazu verlaufenden Tälern durchsetzt sind. Um diesen schweren Untergrund zu bändigen und landwirtschaftlich zu nutzen, verwendete man „Ciglione“, eine spezielle Terrassenform, die grasbedeckten Boden anstelle von Steinen verwendet und dadurch die Hänge nachhaltig stützt. Diese Anbauparzellen wurden vermutlich erstmals im 16. und 17. Jahrhundert eingesetzt und eignen sich besonders gut für steile Abschnitte. Angesichts tausender kleiner Weinproduzenten wirken die Hügel des Prosecco zwischen Conegliano und Valdobbiadene heute wie Flickwerk – hochgradig fragmentiert und doch eng miteinander verbunden.

Auf Genusspfaden zwischen Conegliano und Valdobbiadene wandelnd

Was aber nützt die schönste Prosecco-Lehrstunde, wenn du auf dem Trockenen sitzt? Zahlreiche Genusspfade schlängeln zwischen den beiden Hotspots und führen über steile Hügel und durch dichte Wälder, über mosaikartige Anbauparzellen und weite Ackerflächen. Eine regelrechte „Proseccostraße“ bringt dich von A nach B. Wir haben ein paar Highlights für dich ausgewählt:

  • Conegliano: Los geht es bei der ersten Weinschule Italiens, 1876 gegründet. Lass dich bei einer Führung in die Geheimnisse der Prosecco-Herstellung einführen, besuch alte Weinkeller und schau im nahegelegenen Weinmuseum vorbei.
  • Refrontolo: Unter den zahlreichen charmanten Dörfern dieses Anbaugebiets ragt Refrontolo heraus. Es ist nicht nur Heimat einer überaus populären Beerenauslese, sondern beherbergt ebenso die alte, noch funktionstüchtige Wassermühle Molinetto della Croda. Sie dient aktuell als Museum.
  • Villa Brandolini: Dieses Gebäude in Solighetto ist Sitz geballter Prosecco-Kompetenz, denn von hier aus arbeitet das Consorzio Tutela del Vino Prosecco Conegliano Valdobbiadene DOCG. In der Villa finden regelmäßig kulturelle Veranstaltungen und spannende Ausstellungen statt.
  • Follina: Follina zählt zu den schönsten Dörfern Italiens. Das kulinarische Angebot alleine ist ein Muss. Lege eine kleine Rast in einer Trattoria mit Deftigem aus der Region ein und besuche im Anschluss die mächtige Abbazia di Santa Maria.
  • Farra di Soligo: Die Hügeln werden immer steiler und wilder – perfekt für eine kleine Wanderung! Zwischen den Rebstöcken erheben sich die drei Torri di Credazzo, die einst zu einer von den Langobarden zerstörten Burg gehörten, sowie die kleine Kirche San Martino.
  • Cartizze: Die Heimat des Conegliano Valdobbiadene-Prosecco Superiore di Cartizze beeindruckt mit spektakulären Hügelkegeln, den sogenannten „Chiocciole“, und „Casére“, den urtypischen Scheunen der Region. Ein Besuch in einem der zahlreichen Weinkellern ist Pflicht.
  • Valdobbiadene: Am Ende der Genussstraße warten exzellente Restaurants mit dem Besten aus der Küche Trevisos sowie unzählige Spumante-Weinkeller. Für den Rückweg empfehlen wir dir übrigens einen Abstecher nach Guia, Campea und Farrò, denn hier ist die Aussicht auf die Rebstöcke besonders schön, vor allem bei Sonnenuntergang.

 

Entdecke einen der schönsten und einzigartigsten Landstriche Italiens, die besondere Symbiose und Mensch und Natur und, natürlich, überaus edle Tropfen. Die Hügel des Prosecco zwischen Conegliano und Valdobbiadene stehen beispielhaft für Kompetenz, Innovation und Erfindergeist im italienischen Weinbau und glänzen zudem durch unvergleichliche, mosaikartige Szenerie. Lass dir eine der jüngsten UNESCO-Welterbestätten Italiens auf keinen Fall entgehen – und ein kleiner Abstecher in einen der unzähligen Weinkeller wäre ebenfalls nicht verkehrt.

Ivrea, Industriestadt des 20. Jahrhunderts

Ivrea, Industriestadt des 20. Jahrhunderts, UNESCO

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Würdest du die Stadt Ivrea im Piemont, am Nordrand der Po-Ebene zwischen Turin und dem Aostatal gelegen, von oben betrachten, fiele dir die Zweiteilung durch den Fluss Dora Baltea auf. Im Norden befindet sich die Altstadt mit den Überresten eines römischen Amphitheaters, dem imposanten Schloss des Savoyer-Grafen Amadeus VI. sowie der eindrucksvollen Kathedrale, die im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Umbauten erfuhr. Der Süden beherbergt hingegen eine Industriestadt, die mit Gründung der Firma Olivetti sukzessive aus dem Boden gestampft wurde und die Entwicklung Ivreas vorantrieb. Am 1. Juli 2018 erklärte die UNESCO die Industriestadt von Ivrea zum Weltkulturerbe. Mit seinen 27 Gebäuden gilt dieser Komplex als Vorreiter der Corporate Architecture und zeigt dir eine andere Seite des italienischen Nordens.

Schreibmaschinen, Taschenrechner, Bürocomputer

Ein Blick auf die Weltkulturerbestätte Ivrea wäre ohne eine kurze Auseinandersetzung mit der Unternehmensgeschichte von Olivetti undenkbar. Die Firma wurde im Jahr 1908 von Camillo Olivetti gegründet. In einer kleinen Ziegelbau-Werkstätte am Stadtrand entwickelte er mit einigen Technikern in dreijähriger Arbeit die Schreibmaschine „M1“, 1911 auf der Turiner Industrie-Ausstellung vorgestellt. Olivettis Schreibmaschine wurde zum gefeierten Erfolg, die Expansion folgte. 1920 zählte man 200, 1933 rund 800 und im Kriegsjahr 1940 sogar 6000 Arbeiter. Das Unternehmen warb seine Arbeitnehmer gezielt aus der Region Ivrea an – sie machten einst 90 % der gesamten Belegschaft aus – und entwickelte bereits 1909 ein revolutionäres Sozialsystem von der Betriebskrankenkasse über Kindergarten und Mütterfürsorge bis zu Urlaubsheimen, kultureller Betreuung und Begabtenförderung.

Camillo Olivetti, Sohn einer jüdischen Familie, überschrieb das Unternehmen seinem Sohn Adriano, um der faschistischen Enteignung zu entgehen. Dieser führte einen neuen Managementstil ein und erklärte die Gestaltung zum wesentlichen Olivetti-Merkmal. Zuvor eingeführte Büromöbel-Linien sowie die portable Schreibmaschine MP1 „Ico“ hatten sich bereits in diese Richtung bewegt, später wurde auf dunkelgrauen Strukturlack umgestellt. Olivetti stieg 1948 in den elektronischen Rechnermarkt ein, produzierte 1959 die ersten elektronischen Computer mit Transistoren. Adriano Olivetti verstarb 1960 an einem Gehirnschlag, ein Streit unter seinen sieben Erben entbrannte, durch den Tod des Unternehmenspräsidenten Giuseppe Pero weiter angefacht. Die Firma geriet nicht zum letzten Mal in finanzielle Schräglage, mehrere Neuausrichtungen – Elektronik, Computer, Telekommunikation – erreichten nur kurzfristige Erleichterungen. Durch die Übernahme der Telecom Italia im Jahr 2003, nunmehr der neue Dachkonzern, stabilisierte sich Olivetti und überraschte vor zehn Jahren sogar mit dem Wiedereinstieg in den Computer-Markt.

Movimento Comunità

Der soziale Aspekt war für Olivetti immer schon wichtig, ebenso eine klare Corporate Identity. Wichtigen Einfluss auf die Gebäude der UNESCO-Weltkulturerbestätte übte die „Movimento Comunità“ (dt. „Gemeinschaftsbewegung“) aus. Basierend auf dem Buch „L’Ordine Politico delle Comunità“ (dt. „Die politische Ordnung der Gemeinschaft“) von Adriano Olivetti, wurde sie 1947 ins Leben gerufen. Sie verlangte die Neuordnung des Landes in autonome Gemeinden, vereint durch einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund. Im Gegensatz zu anderen Industriellen erkannte Olivetti die Notwendigkeit der Angestelltenabsicherung und der Bereitstellung sozialer Leistungen. Mit der Verfügbarmachung von Wohngebäuden zu sozialen Zwecken trug er den rasanten industriellen – und somit auch sozialen – Veränderungen des 20. Jahrhunderts Rechnung. Daher ist dieses Welterbe für die UNESCO nicht nur architektonisch beeindruckend, sondern ebenso als Zeugnis der Ideengeschichte dahinter – obwohl die Funktionen der meisten gewerblichen Gebäude in jüngerer Vergangenheit deutlich zurückgegangen sind.

Außergewöhnliche Architektur im industriellen Wandel

Ivrea, Industriestadt des 20. Jahrhunderts

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Obwohl die AEG bereits in den 1910er Jahren Gebäude laut Corporate Identity entwerfen ließ, gilt Olivetti als Corporate-Architecture-Pionier. In den 1930ern eingeführt, erfüllten diese Gebäude nicht nur soziale Funktionen, sie stifteten zudem Identität, sorgten für Markenbewusstsein und Wiedererkennungswert, und erhöhten dadurch die Arbeitsproduktivität. Das einzigartige Zusammenspiel des Olivetti-Komplexes – unter der Leitung Adriano Olivettis mit führenden italienischen Architekten vor dem Hintergrund seiner politischen und sozialen Ideen erarbeitet und errichtet – symbolisiert eine Industrie im Wandel. Mechanisches wurde digitalisiert, neue Produktionsmechanismen eingefügt, soziale Veränderungen einbezogen. Jedes Gebäude, jeder Teil dieses Komplexes ist komplett durchdacht, spiegelt die Firmenidentität wider und fügt sich dennoch nahtlos in das Stadtbild ein. Nicht umsonst wurden Olivettis Bauten wichtige Ankerpunkte der Entwicklung der Theorien der Industrialisierung sowie der Urbanisierung im 20. Jahrhundert.

27 Gebäude, ein Weltwerbe

70.000 ha Grund, 145.000 m² überbaute Fläche, von denen 17 % als Wohnungen dienen – der Olivetti-Komplex nimmt geradezu monumentale Dimensionen an. Die Weltkulturerbestätte besteht aus 27 Gebäuden, heute vielfach anderweitig verwendet. Dazu zählen das Heizwerk und die Tischlerei, das ehemalige Sertec-Gebäude sowie die Sozialwohnung Borgo Olivetti, das Gebäude 18 alloggi und die Wohnanlage-West, die erst im Jahr 1968 geplant wurde. Sie alle tragen die Handschrift namhafter Architekten und sind zudem urtypisch für den Olivetti’schen Stil, welcher die Welt der Corporate Architecture bis heute prägt. Dass Vater und Sohn ihrer Zeit voraus waren, zeigt der Firmenkindergarten. Die 1939 konzipierten Räume werden auch heute noch zur städtischen Kinderbetreuung genutzt.

Natürlich gibt es mittlerweile deutlich auffälligere, schillerndere Firmengebäude, von wilden Designideen und ausladenden Dimensionen begleitet. Und doch hat Ivreas Industriekomplex auch heute noch etwas Besonderes, etwas Einzigartiges an sich. Erlebe Italiens Wandel im Zeichen der Industrialisierung hautnah bei einem kleinen Rundgang durch den Süden der Stadt und besuche bei der Gelegenheit auch gleich die Altstadt im Norden mit ihren nicht minder packenden Zeitzeugen. In Ivrea erlebst du mehr als zwei Jahrtausende wechselhafter Geschichte im Zeitraffer.

Die Kunst des neapolitanischen Pizzabackens

Die neapolitanische Pizza, UNESCO

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Mit der Vielfalt des UNESCO-Welterbes in Italien bist du mittlerweile bestens vertraut, kennst eine große Bandbreite an Natur- und Kulturerbestätten. Tatsächlich gibt es noch eine dritte Liste, die wir bislang weitestgehend ausgeklammert haben. Die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit behandelt kulturelle Ausdrucksformen und mündliche Überlieferungen sowie Bräuche, Feste und Handwerkskünste. Italien findet sich aktuell gleich zwölfmal auf dieser Liste, darunter Cremonas traditionelle Geigenbaukunst, die Transhumanz im Mittelmeerraum und den Alpen sowie das sizilianische Marionettentheater „Opera dei Pupi“. Wir haben uns allerdings ein immaterielles Kulturerbe herausgesucht, das nun wirklich jede*r kennen sollte: Pizza!

Willkommen in Neapel

Woher der Begriff „Pizza“ genau kommt, ist heute unbekannt. Die Spuren führen ins Langobardische, Arabische und Hebräische, aber auch zu verschiedenen italienischen Dialekten. So gibt es im Neapolitanischen den Begriff „piceà“ oder „pizzà“ für „zupfen“ mit vergleichbaren Varianten im Kalabrischen und Mittellateinischen. Das würde natürlich traumhaft passen, denn die Geschichte der Pizza ist eng mit Neapel verbunden. Vergleichbare Gerichte gab es bereits in der Jungsteinzeit, erste modernere Belege stammen allerdings von Vincenzo Corrado, der zwischen 1715 und 1725 über das neapolitanischen Würzen von Pizza und Pasta mit Tomaten schrieb. Überhaupt ist die Evolution der Pizza eng mit der wachsenden Popularität der Tomate in Süditalien verbunden.

Die neapolitanische Pizza

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Um die erste „moderne“ Pizza ranken sich spannende Mythen. Sie soll am 11. Juni 1889 in Neapel – wo auch sonst – von Raffaele Esposito zubereitet worden sein. König Umberto I. und seine Frau Margherita wünschten sich eine Pizza, die Esposito ganz patriotisch in den Farben der italienischen Nationalfarben – grüner Basilikum, weißer Mozzarella und rote Tomaten – belegte. Diese Variante heißt seither Pizza Margherita, die dazugehörige Pizzeria Brandi ist heute weltberühmt. Historiker widerlegten diese spannende Geschichte jedoch. Ein Zeitungsartikel der Washington Post aus dem Jahr 1880 berichtete vom Faible der Königin für Pizza. Sie ließ sich von verschiedenen Pizzabäckern beliefern und wählte letztlich acht Sorten aus. Esposito war bloß der einzige Pizzaiuolo, der die Empfangsbestätigung des Hofes aufbewahrte.

Gelebte Pizza-Tradition

Ein Blick auf die engere Tradition der neapolitanischen Küche kennt lediglich zwei verschiedene Pizzaarten:

  • Pizza Margherita mit Tomaten, Mozzarella g. t. S. in Streifen, Mozzarellawürfeln, Basilikum und Olivenöl
  • Pizza marinara mit Tomaten, Knoblauch, Oregano und Öl

 

Daneben gibt es noch einige weitere Varianten, welche auf die neapolitanische Tradition zurückgehen (z.B. Capricciosa, Quattro stagioni, Quattro formaggi, Calzone oder Diavola), von unzähligen regionalen Sonderformen und kuriosen Erfindungen mit ausgefallenen Belägen ganz abgesehen. Hier soll es aber nicht um eine Pizza mit Würsten, Spaghetti oder Schnitzel gehen, sondern um den Klassiker.

Um eben jenen Klassiker in Zeiten verbreiteter Tiefkühl- und Fast-Food-Pizza zu schützen, wurde 1984 die Associazione Verace Pizza Napoletana zur Wahrung der Tradition der neapolitanischen Pizza gegründet. Die weltweiten Mitglieder dieser Vereinigung dürfen ihr Produkt als „echte neapolitanische Pizza“ („Verace Pizza Napoletana“) bezeichnen, Herstellungsweise und Zutaten werden regelmäßig kontrolliert. 2005 führte die EU das Warenzeichen für die Pizza Napoletana ein, 2010 folgte der Schutz der traditionellen Zusammensetzung bzw. des traditionellen Herstellungsverfahrens als „garantiert traditionelle Spezialität“ (g. t. S.). Demnach besteht eine neapolitanische Pizza aus folgenden Zutaten:

  • Weichweizenmehl
  • Bierhefe
  • natürliches Trinkwasser
  • geschälte Tomaten und/oder kleine Frischtomaten
  • Meer- oder Kochsalz
  • natives Olivenöl extra

 

Die optionalen Zutaten, welche bei der Zubereitung ebenfalls verwendet werden können, sind:

  • Knoblauch
  • Oregano
  • frischer Basilikum
  • Mozzarella di Bufala Campana g.U. oder Mozzarella g. t. S.

 

Gebacken wird ausschließlich in Holzöfen, welche die wichtige Backtemperatur von 485 °C erreichen, zudem darf die Garzeit 60 bis 90 Sekunden nicht überschreiten. Der etwas dickere Rand ist ebenso typisch für die neapolitanische Pizza.

Ein Festtag für den Pizzagenuss

Am 7. Dezember 2017 wurde die neapolitanische Pizza und die Kunst der Pizzabäcker zum immateriellen Kulturerbe erklärt. Zur Feier des Tages gab es Gratis-Pizza in der Stadt, der 7. Dezember ist seither ein neapolitanischer Feiertag, der von einem abwechslungsreichen, mehrtägigen Programm mit Vorträgen, Schaukochen und Festakten begleitet wird. Bei ungefähr 3.000 Pizzaiuoli in der Region, von unzähligen Amateur-Pizzabäckern ganz abgesehen, ist das kein Wunder.

Falls du dich jetzt noch fragst, wie du eine Pizza richtig isst, dann hat Enzo Coccia, eine der größten Pizzalegenden Neapels, die Antwort für dich: zweimal falten wie ein Portemonnaie. So schmeckst du das Aroma des Teiges, den Mozzarella und das Olivenöl. Die Tomatensauce kann nicht hinauslaufen und du kriegst alle Geschmackskomponenten mit einem Biss. Wohl bekomm’s!

Albula- und Berninalinie der Rhätischen Bahn

Albula- und Berninalinie der Rhätischen Bahn, UNESCO

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Als erst dritte Eisenbahn weltweit wurden die Albula- sowie die Berninastrecke der Rhätischen Bahn 2008 zum Weltkulturerbe erklärt. In zwei Abschnitten geht es von Thusis im Schweizer Kanton Graubünden über den Zwischenstopp St. Moritz, wo der Umstieg von der Albula- auf die Berninalinie erfolgt, bis nach Tirano in der Lombardei. Einst öffnete die Bahn ganzen (winter-)touristischen Gebieten das Tor zur Welt, heute begeistert sie neben dem regulären Betrieb vor allem mit ihren Panoramafahrten. Hier erlebst du die Alpen aus einem ganz neuen Blickwinkel!

Zug um Zug auf über 2.000 Meter Seehöhe

Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Bergregionen und späteren Wintersportgebiete an der Grenze zwischen Schweiz und Italien weitestgehend vom Rest der Welt isoliert. Gewaltige Schluchten, mächtige Steigungen und schier unüberwindbare Felsgiganten stellten die Architekten der Rhätischen Bahn vor große Herausforderungen. Mit der Albulabahn im Jahr 1904 und der Berninabahn im Jahr 1910 wurden nicht nur zwei Hochgebirgsstrecken ins Leben gerufen, sondern meisterhafte Verkehrslösungen geschaffen. Die unzähligen Bauten – 196 Brücken und 55 Tunnels auf 122 Kilometern – zeichneten sich durch großen Innovationsgeist aus.

Albula- und Berninalinie der Rhätischen Bahn

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Die Art und Weise, wie sich diese architektonischen Meisterleistungen in die Berglandschaft einfügen, beeindruckt bis heute. Ausgeprägtes regionales Verständnis, gepaart mit kühnem Pioniergeist, sorgt für atemberaubende Harmonie – und das in Seehöhen von bis zu 2.253 Metern am Berninapass, dem höchsten Bahn-Alpenpass Europas. In vier Stunden verbinden die beiden Linien die Schweiz mit Italien, ganz ohne Zahnrad-Kletterei – eine wahrhaft innovative Schmalspurbahn, deren Faszination bis heute ungebrochen ist.

Die Albulalinie

Der erste Abschnitt dieser Weltkulturerbe-Strecke befindet sich einzig und alleine in der Schweiz. Auf 61,67 km verbindet die Albulabahn Thusis am Hinterrhein mit St. Moritz im Engadin. Die 144 Brücken verfügen über Spannweiten von bis zu zwei Metern, die 42 Tunnels und Galerien versprechen gar Spektakuläres. Es ist kaum zu glauben, dass die Bauarbeiten an dieser Strecke bereits 1898 begannen. Nach nur wenigen Kilometern überquerst du das Soliser Viadukt, mit 89 Metern die höchste Brücke der gesamten Rhätischen Bahn. Ein weiteres Happening, wenn man so will, ist der Abschnitt zwischen Bergün und Preda. Dieser überwindet eigentlich auf 6,5 km Luftlinie 417 Höhenmeter. Weil das selbst für die stärkste Bahn zu mächtig wäre, verlängerten zahlreiche Kunstbauten den Abschnitt auf zwölf Kilometer, die Strecke überquert sich in diesem Bereich gleich mehrfach selbst. Und dann ist da noch der Albulatunnel mit 5.865 m Länge, größtenteils durch mächtigen Granit gebohrt.

Übrigens hätte die Albulalinie eigentlich wesentlich länger ausfallen sollen. Geplant war eine Verlängerung über den Malojapass bis nach Chiavenna in Italien, wo wiederum ein direkter Anschluss via Comer See nach Mailand angedacht war. Vage Absichtserklärungen auf italienischer Seite, der Erste Weltkrieg und die folgende Rezession verhinderten den Ausbau. Mittlerweile verkehrt eine Postautolinie auf dieser Strecke.

Die Berninalinie

In St. Moritz steigst du in die Berninabahn um. Aufgrund unterschiedlicher Bahnstromsysteme wollen Gleise und Bahnsteig gewechselt werden, dann geht es Richtung Osten los. Mit den Arbeiten an der Berninalinie wurde übrigens erst nach Fertigstellung der Albulalinie begonnen, die Eröffnung der Gesamtstrecke erfolgte 1910 und seit 1913/14 operiert die Route auch im Winterbetrieb. Die Kosten für die Lawinenverbauungen waren in den ersten Jahren enorm, die Bahn stand mehrfach vor dem Bankrott. Erst die Übernahme durch die Rhätische Bahn 1943 entstanden zahlreiche Neubauten und Modernisierungen, um die Berninalinie zu retten.

Die erste Station in Celerina Staz ist übrigens der niedrigste Punkt entlang der Streckennordseite auf „nur“ 1.716 m Seehöhe. Für die nächsten 20 km steigt sie fast konstant an und erreicht bei Ospizio Bernina ihren höchsten Punkt auf 2.253 m. Der Weg dorthin ist kurvenreich und wechselt die Talseite mehrmals. Diverse Tunnels und Galerien beschützen den stark von Schneeverwehungen betroffenen Teilabschnitt bis ins Puschlav und leiten zudem den nahezu konstanten Abstieg in Richtung Italien ein. Besonders spektakulär sind die Kehren hinter Alp Grüm mit ihrem starken Gefälle sowie der Himmelskurve im engen 180-Grad-Winkel. Die enggebauten Ortsdurchfahrten von Sant’Antonio und Le Presse wechseln sogar auf Straßenbahn-artige Rillenschienen und verkehren stellenweise im Linksverkehr. Das Kreisviadukt unterhalb von Brusio gewinnt ein letztes Mal Höhe, bevor der Zielbahnhof Tirano auf 429 Metern über dem Meeresspiegel erreicht ist. Im Nachbarbahnhof erwartet dich bereits der Zug nach Mailand, der in ca. zweieinhalb Stunden die Hauptstadt der Lombardei erreicht.

Sehenswertes rund um die Bahnstrecke

Die Albula- und Berninalinie sind gewiss nicht für Hektiker geeignet. Aufgrund der einzigartigen Höhenlage und der engen Streckenführung auf der Schmalspurbahn solltest du mit einer Gesamtfahrzeit von etwa vier Stunden rechnen. Wir legen dir dieses Erlebnis im Sommer besonders ans Herz, denn die offenen Aussichtswägen machen den Himmel greifbar. Rund um die Route sowie in der näheren Umgebung erwarten dich zudem zahlreiche Skigebiete, Wanderregionen und Ausflugsziele, darunter:

  • Bormio: Wintersportregionen findest du an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien wie Sand am Meer, darunter Madeismo, Aprica, Livigno und Santa Caterina Valfurva. Bormio zählt aber ohne Frage zu den prominentesten Skigebieten der Alpen, nicht nur aufgrund der legendären Weltcupbewerbe auf der Pista Stelvio. 50 km präparierte Pisten laden zu rasanten Abfahrten ein.
  • Poschiavo: Das schützenswerte Ortsbild der Graubündner Gemeinde erschließt sich rund um steinplattengedeckte Häuser aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Dein Blick fällt unter anderem auf San Vittore, eine spätgotische Stiftskirche, die reformierte Kirche Santa Trinità sowie das Oratorium Sant’Anna mit Beinhaus – eine spektakuläre Mischung aus ansprechender Architektur und grandiosem Bergpanorama.
  • Sonico: Bestimmt kennst du unseren Weltkulturerbe-Blog zu den Felsbildern der Valcamonica, wo auf einer Länge von 25 km prähistorische Ritzungen in blanken Stein zu sehen sind. Einer der Einstiege in dieses Tal, Sonico, ist nur eine knappe Stunde vom Zielbahnhof der Berninalinie in Tirano entfernt.
  • Google Street View: Gut, Google Street View ist vielleicht keine typische Sehenswürdigkeit, aber in diesem Fall trotzdem ein besonderes Erlebnis. Im März 2012 war die UNESCO-Welterbestrecke Albula/Bernina die erste Bahnstrecke weltweit, die mit 360-Grad-Panoramafotos von zuhause aus erlebbar gemacht wurde. Dieses virtuelle Highlight erwartet dich unter rhb.ch.

 

Eine Fahrt mit der Albulalinie und der Berninalinie entschleunigt auf wundersame Weise. Dein Blick fällt auf eindrucksvolle architektonische Errungenschaften, gewaltiges Gefälle, mächtige Felsgiganten und wilde, unbezähmbare Natur, von kleinen, sympathischen Ortschaften umgeben. Gemeinsam mit den diversen Ausflugszielen in der Region solltest du dir diese Genussfahrt auf keinen Fall entgehen lassen!

UNESCO-Weltkulturerbe Val d‘Orcia

Mit dem Sieg des Stadtstaates Siena über das Feudalgeschlecht der Aldobrandeschi brach eine neue Zeitrechnung in der Region an. Siena baute nicht nur seine Hauptstadt gewaltig aus, sondern legte ebenso großen Wert auf den repräsentativen Charakter des Hinterlandes. Im Rahmen der Besiedlung im 14. und 15. Jahrhundert wurde das Val d’Orcia stark umgebaut und weiterentwickelt, um die perfekte Mischung aus ästhetischem Landschaftsbild und idealisiertem Regierungsmodell zu finden. Das Val d’Orcia inspirierte zahlreiche Renaissance-Künstler zu prächtigen Landschaftsbildern und ist auch heute noch ein beliebtes Reiseziel. Selbst die UNESCO erkannte die Einzigartigkeit dieser Region und erklärte sie 2004 zum Weltkulturerbe.

Geschichte des Val d‘Orcia

Val d‘Orcia, UNESCO

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Bereits in der Antike wurde das Val d’Orcia als Teil der Via Cassia, die Verbindungsstraße von Rom in die Toskana, durchquert, später erreichte sie als Etappe des Frankenwegs zusätzliche Bedeutung. Auf den Pilgerreisen vom Frankenreich nach Rom wurde hier bevorzugt Halt gemacht. Die große Umgestaltung, wie bereits erwähnt, begann allerdings erst mit der Übernahme durch den Stadtstaat Siena. Im 14. und 15. Jahrhundert wuchs Corsignano zu Pienza an, die prächtige Konkathedrale Santa Maria Assunta entstand. Zudem begann man mit dem schrittweisen Ausbau der vier weiteren Ortschaften im Tal – Castiglione d’Orcia, Montalcino, Radicofani und San Quirico d’Orcia.

Die Bedeutung des Stadtstaates für die schönen Künste kann nicht oft genug betont werden. Natürlich profitierte vor allem die zunächst vornehmlich gotisch geprägte Malerschule von Siena von den Gönnern und Förderern, mit dem Einsetzen der Renaissance und der Eingliederung in das Großherzogtum Toskana entwickelte sich das Val d’Orcia allerdings zum überaus beliebten Reiseziel für Maler aus dem ganzen Land. Unter der Ägide der Medici blühte die Region noch stärker auf, nicht zuletzt durch infrastrukturelle Verbesserungen an der Via Cassia und am Frankenweg. Zahlreiche Künstler hielten die attraktive Mischung aus kegelförmigen Hügeln und weiten, landwirtschaftlich genutzten Flächen auf ihren Leinwänden fest. Die Harmonie von Mensch und Natur entwickelte sich zum beliebten Leitmotiv.

Ausflug nach Pienza

Vielleicht kennst du bereits unseren Blog zum historischen Zentrum von Pienza, das schon 1996 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Wir möchten uns daher gar nicht zu lange mit dieser sympathischen kleinen Planstadt aufhalten, und doch haben wir uns ein paar Highlights herausgegriffen, die du dir auf keinen Fall entgehen lassen solltest:

  • Santa Maria Assunta: Der Dom von Pienza ist ohne Frage das architektonische Meisterwerk des Val d’Orcia. Hier treffen Renaissance-Kunst und nordalpine Gotik auf typisch toskanische Ordnung. Baumeister Bernardo Rosselino wusste recht wenig über die strengen Gotik-Bauregeln. Das Ergebnis: ein mehr als ansprechender Stilmix von der Fassade bis zur Ausstattung.
  • Palazzo Pubblico: Ursprünglich zu rein repräsentativen Zwecken erbaut – Pienza brauchte ein Rathaus, um seinen Stadtstatus zu sichern – vermittelt dieser kleine Palast zwischen den religiösen und weltlichen Bereichen der Piazza Comunale.
  • Palazzo Piccolomini: Atemberaubend schöne Renaissance-Ideale statten den Innenhof aus. Ein Spaziergang durch den Hof mit Garten und Bogengang weiß immer wieder aufs Neue zu begeistern.
  • Palazzo Vescovile: Papst Pius II. wollte hier ursprünglich besuchende Bischöfe beherbergen. Heute befinden sich mehrere Museen in diesem Palast. Gezeigt werden unter anderem religiöse Artefakte, Malerei aus dem 12. bis 15. Jahrhundert sowie regionale Textilarbeiten.

 

Weitere Ortschaften im Val d‘Orcia

Bestimmt kennst du Pienza bereits zur Genüge, aber wie sieht es mit den vier anderen Ortschaften im Val d’Orcia aus? Diese wollen wir dir natürlich nicht vorenthalten:

  • Castiglione d’Orcia: Die verschlafene kleine Ortschaft liegt auf einem Hügel und ist schon von weitem sichtbar. Einst eine wichtige Etappe des Frankenwegs, triffst du auch heute noch auf ursprüngliche, mittelalterliche Schönheit mit zahlreichen engen Gassen und kleinen Plätzen. Du parkst am Rande des Ortskerns am Parco della Rimembranza und genießt den tollen Fernblick von der kleinen Kapelle am Parkhügel. Im Pieve dei Santi Stefano e Degna befanden sich einst bedeutende Werke von Lorenzetti und Vecchietta, die du mittlerweile in der Pinakothek von Siena bewundern kannst.
  • Montalcino: Einst war Montalcino von einer gewaltigen Stadtmauer aus dem 13. und 14. Jahrhundert mit sechs Toren umgeben. Viele Passagen sind zumindest noch in Teilen vorhanden und geben dir, gemeinsam mit der gewaltigen Festung, einen Eindruck von den monumentalen Dimensionen der einstigen Befestigungsanlage. Heute geht es hier etwas gemächlicher zu, in der Umgebung wird vornehmlich besonders leckerer Honig produziert. Neben dem Duomo di Montalcino erwarten dich neun weitere Kirchen im Ortsgebiet.
  • Radicofani: Einst hatte Radicofani große Bedeutung als Durchreiseort von Pilgern sowie als Befestigungsanlage Sienas. Die Festung wurde zwar im April 1555 komplett zerstört, aus der Ruine entstand jedoch ein tolles Museum. Lass dir das 360°-Panorama mit Blick auf die umliegenden Berge und Hügel auf keinen Fall entgehen! Ein kleiner Abstecher in die Pieve San Pietro mit verschiedenen Werken von Künstlern aus dem 15. und 16. Jahrhundert sollte ebenfalls Pflicht sein.
  • San Quirico d’Orcia: Im Herzen des Val d’Orcia liegt dieser Ort mit seinen weiten landwirtschaftlichen Flächen – hier wird unter anderem hervorragender wilder Spargel kultiviert – sowie unzähligen Kirchen und Kapellen. Die Collegiata-Kirche aus dem 12. Jahrhundert erhebt sich inmitten der vielen mittelalterlichen Gebäude. Hochgotische Elemente, für die italienische Kunst untypische Mischwesen sowie Knotensäulen an der Fassade und den Portalen weisen auf unterschiedliche Entstehungsphasen hin. Im Inneren staunst du über die Fülle an Gemälden und Fresken, darunter die wunderschöne „Madonna col Bambino in Trono e quattro Santi“ des Renaissance-Malers Sano di Pietro.

 

Ein Urlaub für aktive Genießer

Val d‘Orcia

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Du wünscht dir ein wenig Abwechslung und möchtest zwischen deinen Ausflügen in die malerischen Ortschaften des Val d’Orcia etwas erleben? Die Region ist ein Traum für Wanderer und Radfahrer mit ihren weiten Ebenen und gelegentlich durchaus herausfordernden Anstiegen. Wir würden dir jedoch empfehlen, an besonders heißen und sonnigen Tagen auf längere Touren zu verzichten, da es im Tal nur wenig Schatten gibt. Im Frühjahr und im Herbst lohnen sich Stopps in Bagni San Filippo und Bagno Vignoni, wo warmes Thermalwasser müde Sportler wieder beflügelt. Das Val d’Orcia ist zudem eine wichtige Pecorino-Region. Du kannst den beliebten Hartkäse in den verschiedensten Reifestufen kaufen. Einen Teller Pici (dicke Spaghetti mit pikanter Beilage) oder eine herzhafte Portion Ravioli con Ricotta (gefüllte Pfannkuchen, optional mit Fleisch und/oder mit Käse überbacken) solltest du dir nicht entgehen lassen.

Das Val d’Orcia ist Pflicht in deinem nächsten Toskana-Urlaub. Zwischen landschaftlicher Schönheit, beflügelndem Sportangebot und vielen wunderschönen Ortschaften wirst du schnell in den Bann dieser einzigartigen Region gezogen. Unser Tipp: Nimm dir zwei bis drei Tage für das Val d’Orcia Zeit, wenn du das nächste Mal in Florenz oder Siena bist. Es lohnt sich!

Spätbarocke Städte des Val di Noto

Spätbarocke Städte des Val di Noto

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Am Abend des 11. Januar 1693 suchte ein schweres Erdbeben das Val di Noto im südöstlichen Sizilien heim. Die Folgen waren verheerend: ca. 60.000 Tote, 70 zerstörte Städte und Dörfer in einem Umkreis von 5.600 km² und gewaltige Flutwellen, die weitere Ortschaften an den Küsten des Ionischen Meeres und der Straße von Messina verwüsten sollten. Die Sizilianer ließen sich von dieser Katastrophe unmenschlichen Ausmaßes nicht demoralisieren und machten sich an die Arbeit, um sämtliche Städte und Dörfer wieder mit Leben zu füllen. Die Region erhielt dadurch ein einheitliches, spätbarockes Bild. Aufgrund der geografischen und architektonischen Homogenität in einer Region, die durch seismische Aktivitäten sowie den Vulkan Ätna stets bedroht ist, erklärte die UNESCO 2002 acht Städte zur Weltkulturerbestätte „Spätbarocke Städte des Val di Noto“ – perfekt für deinen nächsten Urlaub im Süden Italiens!

Catania

Das Erdbeben zerstörte Catania fast vollständig und tötete nahezu zwei Drittel der Bevölkerung. Wie aus dem Nichts wurde die Stadt im für die Region nunmehr charakteristischen Spätbarockstil hochgezogen. Viele Gebäude bestehen aus Lavagestein, was Catania ein überaus spezielles, einzigartiges Antlitz verlieh. Folgende architektonische Meisterwerke darfst du dir auf keinen Fall entgegen lassen:

  • Palazzo degli Elefanti: Die Kombination aus Ätna-Ausbruch und Erdbeben zerstörte den ursprünglichen Palazzo Municipale komplett. Römische Monumentalität – das mächtige Eingangsportal mit freistehenden Doppelsäulen wird von einem gewaltigen Balkon gekrönt – ließ den Palazzo degli Elefanti zu einem der wichtigsten Gebäude der neuen Stadt aufsteigen. Eine zufällig in den Trümmern entdeckte Elefantenfigur aus römischer Zeit mit Satteldecke aus schwarzem Lavagestein säumt den Elefantenbrunnen vor dem heutigen Rathaus.
  • San Nicola: Das Benediktinerkloster hatte im Laufe der Jahrhunderte mehrere Standorte und war einst sogar an einem Hang des Ätna angesiedelt. Zwar blieb der monumentale Wiederaufbau unvollendet, der Figurenreichtum und das typische Lavagestein verleihen dem heutigen Universitätsgebäude allerdings ein mehr als faszinierendes Antlitz.
  • Kathedrale: Ursprünglich im 11. Jahrhundert als normannische Wehrkirche erbaut, schuf Giovanni Battista Vaccarini eine komplett neue Barockfassade für die Kathedrale Sant’Agata, der Schutzpatronin der Stadt geweiht. Zugleich wurde der einigermaßen verschont gebliebene Ostteil im normannischen Stil belassen und in den Neubau integriert. Weite Teile des Barockschmucks wurden mittlerweile entfernt, um Teilen der Kirche ihr ursprüngliches Antlitz zurückzugeben.
  • Palazzo Biscari: Catanias vielleicht bedeutendster Palast befindet sich im Privatbesitz und ist daher aktuell leider nicht zu besichtigen. Die unglaublich detailreiche Fassade glänzt durch beeindruckende Verzierungen, während im Inneren Rokoko regiert.

 

Caltagirone

Auch Caltagirone war stark vom Erdbeben betroffen und wurde über zehn Jahre an gleicher Stelle wiederaufgebaut. Mehrere Erweiterungen und Umbauten in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten ergänzten das spätbarocke Spektrum durch etwas modernere Einflüsse. Von der zu Beginn des 17. Jahrhunderts erbauten Freitreppe Santa Maria del Monte, ein Überbleibsel aus den Zeiten vor der Katastrophe, bis zur neugotischen Villa Patti aus der Zeit um 1900 entdeckst du an jeder Ecke Caltagirones neue Einflüsse und Elemente. Die prächtige Kirchen Santa Maria del Monte und San Giacomo Apostolo sowie das imposante Stadtmuseum begeistern mit ihren spätbarocken Zügen.

Militello in Val di Catania

Gegründet in byzantinischer Zeit, erwartet dich in Militello ein Mix aus etatmäßiger, spätbarocker Architektur und gut erhaltenen Überbleibseln vergangener Epoche. Zwischen rollenden Hügeln und dem weiten Flusstal des Lembasi lasst du dich von der architektonischen Vielfalt beeindrucken. Die Mutterkirche San Nicolò e Santissimo Salvatore ist ein absolutes Muss, alleine schon aufgrund der monumentalen Fassade. Die Kuppel stammt übrigens aus dem 20. Jahrhundert. Wir legen dir Santa Maria della Catena und Santa Maria della Stella, jeweils reich verziert mit Schnitz- und Stuckarbeiten, ebenfalls ans Herz.

Modica

Modica ist heute sozusagen zweigeteilt. Hier fielen die Zerstörungen glücklicherweise nicht ganz so heftig aus, ein Teil des antiken Zentrums an den Südhängen der Monti Iblei – vermutlich bereits vor dem 7. Jahrhundert v. Chr. gegründet – blieb erhalten, entlang des Tals wurde ein zweites Zentrum errichtet. Vielleicht schönstes Gebäude dieser kleinen sizilianischen Perle ist die Kirche San Giorgio, im Mittelalter gegründet und nach dem Erdbeben sorgfältig wiederaufgebaut. Von der mächtigen Fassade bis zur gewaltigen Kuppel gibt es Eindrucksvolles zu entdecken. Aber auch die eigens im neueren Zentrum errichtete Kathedrale San Pietro solltest du dir nicht entgehen lassen. Der gewaltige Treppenaufgang mit Figuren der zwölf Aposteln sowie der typisch sizilianische Glockenturm sind echte Hingucker.

Noto

Spätbarocke Städte des Val di Noto, UNESCO

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Ganz Noto wurde dem Erdboden gleichgemacht. Daraufhin entschied man sich für eine neue Lage – am linken Flussufer des Asinaro – und ein rechtwinkliges Straßenraster basierend auf Plänen von Giovanni Battista Landolina. Stadtbaumeister Rosario Gagliardi und Architekt Vincenzo Sinatra kümmerten sich um den neuen, spätbarocken Look. Und der ist mehr denn eindrucksvoll, denn durch das besondere Rastersystem erhielt jedes Gebäude mehr als ausreichend Platz. San Nicolò, die gewaltige Kathedrale mit der doppeltürmigen Fassade und der monumentalen Kuppel, ist ein absoluter Pflichtbesuch. Wirf ebenso einen genauen Blick auf die verschiedenen Palazzi mit ihren eindrucksvollen Verzierungen. Überall entdeckst du neue, prächtige Details, wie die Balkone des Palazzo Villadorata oder das exorbitante Rathaus Palazzo Ducezio.

Palazzolo Acreide

Im Jahr 664 v. Chr. gründeten Bewohner der Stadt Syrakus eine neue Siedlung, Akrai. Sie verlor an Bedeutung und wurde später zerstört, nur um im 12. Jahrhundert rund um eine Normannenburg als Palazzolo neues Leben eingehaucht zu bekommen. Vom schweren Erdbeben unbeeindruckt, gilt Palazzolo Acreide heute als einer der schönsten Orte Italiens. Zwischen dem mittelalterlichen Zentrum und dem neueren, zweiten Zentrum erwarten dich mehrere traumhafte Kirchen. Der Dom San Sebastiano mit seiner gigantischen Freitreppe sowie die spektakuläre Fassade der Basilica di San Paolo sind Pflicht. Etwas außerhalb befindet sich das Ausgrabungsgebiet der antiken Stadt Akrai – zwar kein Teil der spätbarocken Weltkulturerbestätte, aber dennoch mehr als sehenswert.

Ragusa

Vorchristliche Wurzeln, byzantinischer Einschlag, Spuren der Normannen, Staufer und Aragonesen – all das wurde vom verheerenden Erdbeben vernichtet. Und doch gaben die Einwohner Ragusas nicht auf: Sie errichteten ihre wunderschöne Stadt einfach auf einem etwas höhergelegenen Felsplateau im Westen neu. Eine durch mehrere Brücken erschlossene Schlucht trennt heute den Stadtkern. Während der westliche Teil eher nüchtern und geometrisch gehalten ist – abgesehen von der Kathedrale San Giovanni Battista ist dieser Teil vornehmlich Wohn- und Verwaltungsgebäuden vorbehalten – glänzt der Osten durch spätbarocke Prunkbauten. Insgesamt neun Hauptkirchen und sieben Palazzi begleiten deine Stadttour.

Scicli

Einst von den Normannen zur Königsstadt erhoben, blieb nicht allzu viel von dieser Hochphase Sciclis über. Selbst die einstige Domkirche San Matteo über der Stadt wurde aufgelassen und verfällt langsam, bleibt dennoch eindrucksvolles Wahrzeichen der Stadt. Rund um die geschützte Barockstraße Via Francesco Mormino Penna erwarten dich prachtvolle Kirchen, Museen und Paläste mit dem Palazzo Beneventano als absolutes Muss. Seine detailreichen, ausladenden Verzierungen machen ihn zum großen Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt.

Wir empfehlen dir zumindest eine komplette Woche in der Val di Noto-Region, um das spätbarocke Flair in aller Vielfalt genießen können. Jede der acht Städte ist für sich bereits ein kleines Meisterwerk, in ihrer Gesamtheit begeistern sie immer und immer wieder. Schnell bemerkst du gewisse Ähnlichkeiten in Stilistik und Planung und erkennst, warum die UNESCO diese Region als Repräsentation der „[letzten] Blütezeit der Barockkunst in Europa“ für überaus schützenswert erachtete. Viel Spaß bei deinem nächsten Sizilien-Urlaub!

Orte der Macht der Langobarden in Italien

Den Untergang des Weströmischen Reiches als Phase großer Umwälzungen zu bezeichnen, wäre wohl dezent untertrieben. Zahlreiche Völker versuchten in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten ihr Glück, die antike Völkerwanderung war in vollem Gange. Ab 568 n. Chr. wanderten die Langobarden in Italien ein und sollten 200 Jahre lang über weite Teile des Landes regieren. Über diese beiden Jahrhunderte errichtete der elbgermanische Stamm faszinierende Orte der Macht, derer sieben seit 2011 als UNESCO-Weltkulturerbe gelten – und das in gleich fünf verschiedenen Regionen. Zeit für eine kleine Tour von Nord nach Süd!

Die Rolle der Langobarden am Tor zum Mittelalter

Orte der Macht der Langobarden in Italien

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Für die UNESCO nimmt die langobardische Architektur eine zentrale Rolle im Übergang von der Antike zum Mittelalter ein. Die Synthese verschiedener Bausteile, gepaart mit der Entwicklung einer eigenen Kultur, vereinte das antike Rom mit christlicher Spiritualität, byzantinische Kunst mit dem germanischen Nordeuropa. Woher der Name „Langobarden“ eigentlich stammt, verlor sich allerdings in den Wirren der Geschichte.

Als Könige von Italien herrschten sie über weite Teile des Landes. Einzig Rom, Sardinien, Sizilien und einige kleinere Landstriche im äußersten Süden und Nordosten blieben stets in byzantinischer Hand. Obwohl die Langobarden das ehemalige Zentrum weströmischer Macht nie erobern konnten, drückten sie dem Rest Italiens ihren Stempel auf. Erst Karl der Große sollte 774 den letzten langobardischen König absetzen, 100 Jahre später verschwanden auch die letzten namentlichen Spuren aus dem Regententitel.

Gastaldaga und Bischofskomplex in Cividale del Friuli

Widmen wir uns nun aber den sieben Orten der Macht besagter UNESCO-Weltkulturerbestätte. Zunächst schicken wir dich nach Friaul-Julisch Venetien, genauer gesagt: Cividale del Friuli. Im alten langobardischen Ortsteil Valle entdeckst du die Kirche Santa Maria auf dem ehemaligen Gastaldaga-Areal. In ihrer Urform (Tempietto Longobardo) galt sie als wohl originellstes Werk der spätlangobardischen Zeit und erreichte neue, komplexe Sphären. Mittelalterliche Stuckverzierungen und Fresken mit byzantinischem Einfluss erwarten dich im Presbyterium. Zu diesem religiösen Areal zählt außerdem der ehemalige bischöfliche Komplex, ursprünglich aus einer Basilika, einen Baptisterium und dem Patriarchenpalast bestehend. Besondere Werke der langobardischen Plastik, wie der Tegurio von Callisto und der Altar von Ratchis, kannst du im Museo Cristiano sowie im Domschatz besichtigen.

San Salvatores Klosterkomplex

Nun zieht es uns westwärts in die Lombardei. In Brescia ließ Desiderius 753, drei Jahre bevor er den Königsthron besteigen sollte, ein Frauenkloster einrichten, dem seine Tochter Anselperga als Äbtissin vorstand. Der Klosterkomplex San Salvatore wurde natürlich im Laufe der Zeit vielfach umgebaut. Besonders sehenswert ist die gleichnamige Kirche, ein glanzvolles Zeugnis frühmittelalterlicher Sakralarchitektur mit ausladenden Stuckarbeiten. Wir empfehlen dir, einen Blick in das weitläufige archäologische Areal rund um das Kloster zu werfen. Hier entdeckst du Überreste zahlreicher antiker Kultbauten, die später überbaut oder in diverse Wohnungen, Produktionseinrichtungen und Begräbnisstätten eingegliedert wurden. Das Capitolium aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. und das römische Theater sind besonders eindrucksvoll.

Castrum von Castelseprio und der Turm von Torba

Wir bleiben in der Lombardei, da gefällt es uns gerade richtig gut. Der archäologische Park von Castelseprio erstreckt sich um eine antike römische Befestigungsanlage, welche in weiterer Folge von den Langobarden umgebaut und zur Burg Castrum erweitert wurde. Ende des 13. Jahrhunderts leider komplett zerstört, überlebten lediglich ein mächtiger Mauerring, diverse Wohnungsanlagen und die Basilika mit Baptisterium von San Giovanni Evangelista. Ein weiteres Prunkstück langobardischer Militärarchitektur ist der Turm von Torba, wo unter anderem ein Kloster der Benediktinerinnen untergebracht war. Ein Abstecher in die Kirche Santa Maria foris portas, außerhalb der Stadtmauern gelegen, mit ihren prächtigen, überaus wichtigen Fresken byzantinischer Prägung sollte ebenfalls auf deinem Programm stehen.

Basilika San Salvatore in Spoleto

Zeit für einen Sprung: Spoleto liegt an den Ausläufern des Apennin im Süden Umbriens. Die örtliche Basilika San Salvatore entstand wohl bereits in frühchristlicher Zeit und soll der Überlieferung nach rund um die Grabstätten zweiter christlicher Märtyrer errichtet worden sein. Im 7. Jahrhundert führten die Langobarden umfangreiche Renovierungsarbeiten durch und fügten zahlreiche Details hinzu, welche bei späteren Umbauten in romanischer Zeit erweitert und vertieft wurden. Man entschied sich dafür, die römisch-klassische Formensprache beizubehalten, und so erwarten dich neben den eigentlichen antiken Architekturfragmenten wunderbare Nachbauten mit einer reich dekorierten Fassade. Leider ging die Stuck- und Malerei-Ausstattung fast gänzlich verloren.

Tempietto sul Clitunno

Unweit von Spoleto liegt die kleine Ortschaft Campello sul Clitunno am gleichnamigen Fluss. Die kleine frühmittelalterliche Kirche entstand am jenen Ort, wo laut römischer Überlieferung der römische Flussgott Jupiter Clitumnus residierte. In der Bauweise an einen korinthischen Tempel aus der griechischen Antike angelehnt, beeindruckt dieses kleine Heiligtum mit seinen monumentalen Säulen und dem gewaltigen Architrav mit kunstfertiger Gravur römischer Großbuchstaben. Aus der Mischung aus wiederverwendeten römischen Elementen und eigens erstellten Dekorationen ragen die Fresken aus dem 7. Jahrhundert hervor.

Der Santa Sofia-Komplex von Benevento

Die Reise führt uns nun noch südlicher nach Kampanien. Arichis II., der langobardische Herzog von Benevento, ließ Santa Sofia um 760 als persönliche Kapelle errichten. Er hoffte, dass seine Seele dadurch im Jenseits Erlösung finden würde. Ob das gelang, ist uns leider nicht bekannt. Mit Ausnahme der barocken Fassade, welche im Zuge von Renovierungsarbeiten nach zwei schweren Erdbeben hochgezogen wurde, konnte die Kirche weitestgehend originalgetreu restauriert werden. Somit erwartet dich ein herrlich langobardischer Bau mit so manchem romanischen Element dazwischen. Fragmente von Fresken aus dem späten achten und frühen neunten Jahrhundert illustrieren die einzigartige Schule der Illuminatoren von Benevento, natürlich von stark langobardischen Zügen geprägt.

Wallfahrtskirche San Michele in Monte Sant‘Angelo

Orte der Macht der Langobarden in Italien, UNESCO

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Zum Abschluss besuchen wir den äußersten Südosten Apuliens. Die wunderschöne Stadt Monte Sant’Angelo gibt es zwar erst seit dem 11. Jahrhundert, seine Besiedlungsgeschichte ist aber wesentlich älter. Erst im vergangenen Jahr wurden Überreste eines hellenistischen Tempels aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. entdeckt. Auf den Hängen des Gargano soll der Erzengel Michael um 490 einem Bischof, ein halbes Jahrhundert später während einer Schlacht erschienen sein. In der Region entstand ein Michaelskult, den die Langobarden wohl wesensgleich mit dem paganen Wodan empfunden haben müssen. Nach der Eroberung Garganos verehrten sie das Heiligtum ebenfalls. Mittlerweile rekonstruiert und mit einer Wallfahrtskirche versehen, zieht San Michele in Monte Sant’Angelo Pilger aus dem ganzen Land an.

Alle Orte der Macht der Langobarden in Italien zu besuchen, kommt einer mehrwöchigen Rundreise durch das Land gleich – und warum eigentlich nicht? Italien ist immer einen Besuch wert, und diese prächtigen Kirchen, Heiligtümer und Klöster sind mehr als nur atemberaubend. Begib dich auf die Spuren der Langobarden und entdecke Teile dieser gewaltigen UNESCO-Weltkulturerbestätte in deinem nächsten Urlaub. Es lohnt sich!

Das historische Zentrum von Pienza

Was macht eine Stadt zur Idealstadt? Die Meinungen gehen und gingen auseinander, und so änderte sich die Sicht der Dinge selbstverständlich mit der Zeit. Renaissance und Humanismus sollten entsprechende Herangehensweisen besonders stark beeinflussen. Das kannst du auch heute noch an Pienza sehen. Mit der Piazza Comunale als Dreh- und Angelpunkt des urbanen Lebens wurde ein architektonisches, rationales Wunderwerk geschaffen, das vor allem für eine Kleinstadt außerordentlich ist. Seit 1996 zählt das historische Zentrum von Pienza zum UNESCO-Weltkulturerbe und sollte ein absoluter Pflichtstopp auf deiner nächsten Toskana-Reise sein.

Eine Idealstadt musste her

Das historische Zentrum von Pienza, UNESCO

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Lange Zeit blieb Pienza im Val d’Orcia, das übrigens 2004 selbst zur Weltkulturerbestätte erklärt wurde, eine Randnotiz. Das damalige Dorf, im 9. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt und ab 1300 teilweise in Besitz der Familie Piccolomini, hieß eigentlich Corsignano. 1405 wurde Aeneas Silvius Piccolomini, der spätere Papst Pius II. in der Ortschaft geboren. In der Tradition antiker Stadtgründer ließ er Corsignano ab 1459 zur Idealstadt ausbauen und nach sich selbst in Pienza umbenennen.

Mit diesem Ausbau sollte Pius II. einen Trend auslösen, der sich über ganz Italien und schließlich weite Teile Europas ausdehnen sollte. Tatsächlich konnte die Gesamtplanung gerade im Fall von Pienza nicht vollständig realisiert werden, was dem Unternehmen einen ironischen Beigeschmack verleiht. Zwar stellte der Florentiner Architekt Bernardo Rosselino, ein Schüler Leon Battista Albertis, die Hauptbauten innerhalb von drei Jahren fertig, der Tod des Papstes 1464 verhinderte allerdings weitere Arbeiten. Aber auch ohne diesen möglicherweise krönenden Abschluss ist das historische Zentrum von Pienza ein echtes Happening.

Alle Wege führen zur Piazza

Das historische Zentrum von Pienza

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Die luftige, zentralisierte Bauweise der Altstadt Pienzas wurde zum Vorbild für zahlreiche italienische Städte. Von allen Seiten führen Straßen auf den Hauptplatz der humanistischen Idealstadt, die Piazza Comunale. Jedes Fleckchen, jeder Standort auf der Piazza legt für sich reizvolle, komplett neue Perspektiven auf die vier flankierenden Gebäude frei, von der magischen Landschaft des Val d’Orcia geradezu perfekt in Szene gesetzt. Der mit dem Familienwappen der Piccolominis ausgestattete Travertin-Brunnen, später ein Vorbild zahlreicher toskanischer Brunnen, betont die beabsichtigte Asymmetrie des Platzes und verleiht dem eigentümlichen Ambiente eine weitere, hochgradig spezielle Dimension.

Santa Maria Assunta

Vier Idealstadt-Gebäude flankieren die Piazza Comunale, und der Dom von Pienza ist ohne Frage das wichtigste Exemplar der großen architektonischen Künste. Santa Maria Assunta, so der Name der Konkathedrale, wurde von 1459 bis 1462 als dreischiffige Hallenkirche errichtet. Obwohl die Fassade deutlich von der Renaissance beeinflusst wurde, erinnert der Dom an sich stark an die nordalpine Gotik, wohl aufgrund päpstlicher Reisen in deutsche Länder. Weite Teile der Fassade orientieren sich an der toskanischen Ordnung sowie an ländlicher Architektur der Region, darunter die Eingänge mit überwölbenden Seitenbögen, die vier Kolossalpilaster sowie die Ädikulanischen. Vergleiche mit Santa Maria Novella in Florenz und Tempio Malatestiano in Rimini von Leon Battista Alberti liegen auf der Hand, Rossellino bezog ordentlich Inspiration von seinem Lehrmeister.

Im Dom erwarten dich ebenfalls Grundmanifeste aus der Renaissance, geschickt mit gotischen Bauelementen kollidierend. Rossellino wusste recht wenig über die strengen Bauregeln der Gotik. Dafür sprechen unter anderem die eigenartigen Kapitelle an den Bündelpfeilern, die Kämpfer unterhalb der Kreuzgratgewölben sowie die versetzte Stellung der seitlichen Nebenchorkapellen. In Verbindung mit der modernen, elektrischen Orgel sowie typisch gotischen Gemälden aus Siena erwartet dich somit ein gleichermaßen monumentales wie kurioses Gesamtbild eines imposanten Gotteshauses.

Weitere Weltkulturerbe-Highlights in Pienza

Der gewaltige, imposante Dom gilt nicht umsonst als der Höhepunkt deiner Tour durch Pienza, ist aber längst nicht das einzige Glanzlicht auf der Piazza Comunale. Drei weitere Gebäude flankieren das Zentrum des stadtplanerischen Ideals, und die solltest du dir selbstverständlich nicht entgehen lassen:

  • Palazzo Pubblico: Als Corsignano zur Stadt erhoben wurde, musste ein eigenes Rathaus mehr, um diesen Status zu halten. Tatsächlich diente der Palast gegenüber dem Dom aber vor allem Schauzwecken. Man geht davon aus, dass Rossellino eine Art freistehenden, architektonischen Vermittler zwischen dem religiösen Dombereich und dem weltlichen Marktplatz schaffen wollte. Ebenso hielt er den Glockenturm des Rathauses bewusst kürzer als jenen des Doms.
  • Palazzo Piccolomini: Rossellino ließ sich nicht nur beim Dombau vom Werk seines Lehrers Leon Battista Alberti inspirieren. So ist der Palazzo Piccolomini stark an Albertis Palazzo Rucellai in Florenz angelehnt. Vom viereckigen Grundriss über die geschickt platzierten Familienwappen und apostolischen Schriften rund um die Fenster bis zur Steinfassade siehst du womöglich viel Vertrautes. Der kleine, rechteckige Innenhof mit Garten und Bogengang wurde hingegen nach den Idealen der Renaissance errichtet. Von der Loggia an der gen Süden ausgerichteten Palastrückseite genießt du einen traumhaften Ausblick auf das Val d’Orcia und den von Papst Pius II. heißgeliebten Monte Amiata.
  • Palazzo Vescovile: Die erweiterten päpstlichen Pläne sahen weitere, durch verschiedene Kardinäle erbaute Paläste vor. Wie du bereits weißt, konnten diese kühnen Vorhaben nach Pius‘ Tod nicht abgeschlossen werden, und so bleibt einzig der Palazzo Vescovile als Memento übrig. Von Kardinal Rodrigo Borgia, der spätere Papst Alexander VI., finanziert, sollte er jene Bischöfe, die Pius II. in Pienza besuchten, beherbergen. Mittlerweile sind das Diözesanmuseum und das Museo della Cattedrale im Palast untergebracht. Religiöse Artefakte, Gemälde aus dem 12. bis 15. Jahrhundert sowie Textilarbeiten aus der Region begleiten deinen Besuch.

 

Kaum vorstellbar, wie Pienzas historisches Zentrum hätte aussehen können, denn die Piazza Comunale mit ihren vier eindrucksvollen Gebäuden ist bereits für sich ein atemberaubendes Must-See. Der prächtige Dom mit seiner stilistischen Pluralität und den monumentale Dimensionen sowie die drei überaus unterschiedlichen und doch so harmonisch eingebetteten Paläste betonen das humanistische Ideal der Renaissance-Städteplanung auf hochgradig vielschichtige Weise. Lass dir Pienza mit dem angrenzenden Val d’Orcia nicht entgegen und freue dich auf gleich zwei UNESCO-Weltkulturerbestätten auf einmal!

Die Fossilien des Monte San Giorgio

Ein kleiner Ausflug auf 1.097 m Seehöhe an der italienisch-schweizerischen Grenze legt herrliche Aussichten frei. Der in den Luganer Voralpen gelegene Monte San Giorgio im Kanton Tessin, zwischen den beiden südlichen Armen des ebenso prächtigen Luganersees, ist ein beliebtes Wander- und Ausflugsziel, ein echtes Naturjuwel, dessen weitläufige Landschaft sich bis in die Provinz Varese zieht. Unter der stark bewaldeten Oberfläche befinden sich jedoch zahlreiche Höhlen mit ungeahnten urzeitlichen Schätzen. Sie geben marine Fossile frei, die teils über 200 Millionen Jahre alt sind. 2003 wurde der Schweizer Teil zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt, 2010 kam schließlich der italienische Abschnitt hinzu, um nunmehr die gesamte fossile Anlage und Ausgrabungsstätte mit ihrer wunderschönen umliegenden Region zu umfassen.

Das Meeresbecken im Gestein

Monte San Giorgio, UNESCO

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Wie konnten diese versteinerten Urzeitwesen überhaupt in die Höhlen gelangen? Wissenschaftler vermuten, dass die Gesteine des Monte San Giorgio vor ca. 245 bis 230 Millionen Jahren ein großes, ca. 100 Meter tiefes Meeresbecken inmitten einer Lagune formten, bevor der heutige Berg entstand. In dieser damals subtropischen Region mit vermutlich sauerstoffarmem Wasser am Grund konnten zahlreiche Wirbeltiere geschützt wachsen und gedeihen, ohne sich vor ihren natürlichen Feinden, den Aasfressern, in Acht nehmen zu müssen. Die gefundenen Fossilien bestehen daher oft aus vollständig erhaltenen Skeletten und sind für die Forschung von besonderer Bedeutung. Fische, Reptilien, und wirbellose Tiere, beispielsweise Insekten, konnten in den weltweit einmaligen fünf Fundschichten entdeckt werden. Dazu zählen hunderte Mixosaurus-Skelette, eine Ichthyosaurier-Art (auch „Fischsaurier“ genannt) aus der Mittleren Trias. Bis heute wurden mehr als 20.000 Fossilien aus den Fundschichten des Monte San Giorgio entnommen.

Die wichtigsten Fossilien

Einige der prächtigen Fundstücke haben wir bereits kurz erwähnt. Nachstehend haben wir eine kleine Übersicht für dich aufbereitet, was bereits entdeckt wurde:

  • Reptilien: Ungefähr 25 verschiedene Arten konnten im Monte San Giorgio erwähnt werden. Neben dem bereits erwähnten Mixosaurus zählen auch die Eosauropterygier zu dieser Gruppe. Sie weisen spitze Zähne und paddelartige Extremitäten auf. Der Protorosaurier hatte hingegen einen überaus langen, giraffenartigen Hals.
  • Insekten: Tintorina, die „Mücke“ des Monte San Giorgio, ist die wohl älteste gefundene, überaus differenziert ausgebildete Insektenart der Region und zählt zur Gruppe der Eintagsfliege. Aktuell laufen Studien an faszinierenden Käfer- und Libellenfunden auf Hochtouren.
  • Fische: Neben den teils am Übergang zum Fischwesen befindlichen Reptilienfunden konnten auch in etwa 50 Fischarten entdeckt werden. Während die Knorpelfische, darunter Haie, in der Fossilisation schlecht erhalten blieben – diesen Prozess überstand meist nur Zähne und Flossenstacheln – erinnern hingegen die entdeckten Quastenflosser an das lebende Fossil Latimeria aus dem Indischen Ozean.
  • Conodonten: Diese Wesen geben bis heute Rätsel auf. Sie waren vermutlich fünf bis zehn Zentimeter lange, fischähnliche Wirbeltiere, welche wohl den heutigen Neunaugen ähneln. Der Monte San Giorgio förderte packende Cluster-Funde zutage. Hier wurden übrigens auch zahlreiche Abdrücke von Muscheln, Schnecken und Kopffüßern entdeckt.

 

Fossilienmuseum in Meride

Was du mit dieser Fossilienübersicht anfangen sollst, wirst du dich fragen? In den Museen der Region kannst du einen Blick auf die verschiedenen Fundstücke der Region Monte San Giorgio werfen. Ein kleiner Ausflug in die Schweiz lohnt sich besonders, denn das nur knapp vier Kilometer von der italienischen Grenze entfernte Fossilienmuseum in Meride bietet dir faszinierende Einblicke. Am 13. Oktober 2012 eingeweiht, widmet es sich auf vier Stockwerken den versteinerten Pflanzen und Tieren der UNESCO-Weltkulturerbestätte. Zu den Highlights zählt die Rekonstruktion eines Ticinosuchus. Dieser 2,5 Meter lange Landsaurier lebte am Rand des Meeresbeckens. Wir empfehlen dir eine Führung durch das Museum, um wirklich alle Schätze entdecken zu können, von faszinierenden Fakten begleitet. Für junge Besucher werden eigene Kinderführungen angeboten.

Weitere Sehenswürdigkeiten und Aktivitäten in der Region

Das Fossilienmuseum in Meride ist natürlich ein absolutes Muss, aber längst nicht das einzige Highlight am und rund um den Monte San Giorgio. Neben unzähligen Wander- und Spazierwegen solltest du folgende Highlights auf keinen Fall verpassen:

  • Fossilienmuseum von Besano: Der italienische Teil der Monte-San-Giorgio-Region verfügt ebenfalls über ein paläontologisches Museum. Hier erwarten dich unter anderem das knapp sechs Meter lange Skelett eines Mixosaurus mit vier Embryos im Unterleib sowie ein gewaltiger Saltriovenator.
  • Val Mara: Die Aussichtsplattform im Herzen der Grenzregion gewährt einen Einblick in die Fossilienablagerungen des Trias-Meeres. Hoch über der Schlucht des Gaggiolo-Baches warten Bildtafeln, Abgüsse, Ferngläser und Fossilienmodelle sowie Rekonstruktionen der Umgebung aus dem Mitteltrias auf dich.
  • Geo-paläontologischer Weg: Zwischen Italien und der Schweiz verläuft ein langer Pfad für Wanderer und ausdauernde Spaziergänger. Er führt durch das Herz der Region und stellt verschiedene geologische sowie paläontologische Aspekte näher vor. Die durch die UNESCO geschützten Weltkulturerbe-Ausgrabungsstätten stehen natürlich ebenfalls auf dem Plan.
  • Naturgeschichtliches Museum von Clivio: Auch als Besucherzentrum der Region Monte San Giorgio bekannt, betrachtet dieses Museum verschiedene Aspekte der regionalen Flora und Fauna. Wenig überraschend geht es dabei auch um die Fossilien des berühmten Berges mit über 4.000 Funden. Gleich sechs Skelette des Lariosaurus lassen sich hier betrachten. Das naturgeschichtliche Museum deckt ebenso verschiedene mineralogische, zoologische und botanische Bereiche ab, und verfügt über einen großen Park mit einem stratigraphischen Park, der sich den regionalen Gesteinen widmet.
  • Linea Cadorna: Während des Ersten Weltkrieges wurde die Cadorna-Verteidigungslinie an der Grenze zur neutralen Schweiz erbaut. Nach General Luigi Cadorna benannt, schreckte sie erfolgreich vor Angriffen auf die Lombardei ab – die Linea Cadorna blieb unbenützt. Heute kannst du die renovierten Festungen mit ihren Höhlen im Rahmen von sechs beschilderten Rundwegen erkunden und erfährst mehr über die Geschichte sowie die vielfältige Natur der Region.

 

Der Monte San Giorgio ist eine Region von unfassbarem Wert – nicht nur für Forscher, sondern auch für Naturfreunde und Hobbyentdecker. Überall stößt du auf fossile Zeitzeugen, erhältst packende Einblicke in die Evolution der Insekten, Reptilien und Fische, und lässt dich zudem in den Bann traumhafter Landschaften mit packenden Aussichten ziehen. Deine Reise in das italienisch-schweizerische Grenzgebiet kann kommen!