Das historische Zentrum von Pienza

Was macht eine Stadt zur Idealstadt? Die Meinungen gehen und gingen auseinander, und so änderte sich die Sicht der Dinge selbstverständlich mit der Zeit. Renaissance und Humanismus sollten entsprechende Herangehensweisen besonders stark beeinflussen. Das kannst du auch heute noch an Pienza sehen. Mit der Piazza Comunale als Dreh- und Angelpunkt des urbanen Lebens wurde ein architektonisches, rationales Wunderwerk geschaffen, das vor allem für eine Kleinstadt außerordentlich ist. Seit 1996 zählt das historische Zentrum von Pienza zum UNESCO-Weltkulturerbe und sollte ein absoluter Pflichtstopp auf deiner nächsten Toskana-Reise sein.

Eine Idealstadt musste her

Das historische Zentrum von Pienza, UNESCO

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Lange Zeit blieb Pienza im Val d’Orcia, das übrigens 2004 selbst zur Weltkulturerbestätte erklärt wurde, eine Randnotiz. Das damalige Dorf, im 9. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt und ab 1300 teilweise in Besitz der Familie Piccolomini, hieß eigentlich Corsignano. 1405 wurde Aeneas Silvius Piccolomini, der spätere Papst Pius II. in der Ortschaft geboren. In der Tradition antiker Stadtgründer ließ er Corsignano ab 1459 zur Idealstadt ausbauen und nach sich selbst in Pienza umbenennen.

Mit diesem Ausbau sollte Pius II. einen Trend auslösen, der sich über ganz Italien und schließlich weite Teile Europas ausdehnen sollte. Tatsächlich konnte die Gesamtplanung gerade im Fall von Pienza nicht vollständig realisiert werden, was dem Unternehmen einen ironischen Beigeschmack verleiht. Zwar stellte der Florentiner Architekt Bernardo Rosselino, ein Schüler Leon Battista Albertis, die Hauptbauten innerhalb von drei Jahren fertig, der Tod des Papstes 1464 verhinderte allerdings weitere Arbeiten. Aber auch ohne diesen möglicherweise krönenden Abschluss ist das historische Zentrum von Pienza ein echtes Happening.

Alle Wege führen zur Piazza

Das historische Zentrum von Pienza

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Die luftige, zentralisierte Bauweise der Altstadt Pienzas wurde zum Vorbild für zahlreiche italienische Städte. Von allen Seiten führen Straßen auf den Hauptplatz der humanistischen Idealstadt, die Piazza Comunale. Jedes Fleckchen, jeder Standort auf der Piazza legt für sich reizvolle, komplett neue Perspektiven auf die vier flankierenden Gebäude frei, von der magischen Landschaft des Val d’Orcia geradezu perfekt in Szene gesetzt. Der mit dem Familienwappen der Piccolominis ausgestattete Travertin-Brunnen, später ein Vorbild zahlreicher toskanischer Brunnen, betont die beabsichtigte Asymmetrie des Platzes und verleiht dem eigentümlichen Ambiente eine weitere, hochgradig spezielle Dimension.

Santa Maria Assunta

Vier Idealstadt-Gebäude flankieren die Piazza Comunale, und der Dom von Pienza ist ohne Frage das wichtigste Exemplar der großen architektonischen Künste. Santa Maria Assunta, so der Name der Konkathedrale, wurde von 1459 bis 1462 als dreischiffige Hallenkirche errichtet. Obwohl die Fassade deutlich von der Renaissance beeinflusst wurde, erinnert der Dom an sich stark an die nordalpine Gotik, wohl aufgrund päpstlicher Reisen in deutsche Länder. Weite Teile der Fassade orientieren sich an der toskanischen Ordnung sowie an ländlicher Architektur der Region, darunter die Eingänge mit überwölbenden Seitenbögen, die vier Kolossalpilaster sowie die Ädikulanischen. Vergleiche mit Santa Maria Novella in Florenz und Tempio Malatestiano in Rimini von Leon Battista Alberti liegen auf der Hand, Rossellino bezog ordentlich Inspiration von seinem Lehrmeister.

Im Dom erwarten dich ebenfalls Grundmanifeste aus der Renaissance, geschickt mit gotischen Bauelementen kollidierend. Rossellino wusste recht wenig über die strengen Bauregeln der Gotik. Dafür sprechen unter anderem die eigenartigen Kapitelle an den Bündelpfeilern, die Kämpfer unterhalb der Kreuzgratgewölben sowie die versetzte Stellung der seitlichen Nebenchorkapellen. In Verbindung mit der modernen, elektrischen Orgel sowie typisch gotischen Gemälden aus Siena erwartet dich somit ein gleichermaßen monumentales wie kurioses Gesamtbild eines imposanten Gotteshauses.

Weitere Weltkulturerbe-Highlights in Pienza

Der gewaltige, imposante Dom gilt nicht umsonst als der Höhepunkt deiner Tour durch Pienza, ist aber längst nicht das einzige Glanzlicht auf der Piazza Comunale. Drei weitere Gebäude flankieren das Zentrum des stadtplanerischen Ideals, und die solltest du dir selbstverständlich nicht entgehen lassen:

  • Palazzo Pubblico: Als Corsignano zur Stadt erhoben wurde, musste ein eigenes Rathaus mehr, um diesen Status zu halten. Tatsächlich diente der Palast gegenüber dem Dom aber vor allem Schauzwecken. Man geht davon aus, dass Rossellino eine Art freistehenden, architektonischen Vermittler zwischen dem religiösen Dombereich und dem weltlichen Marktplatz schaffen wollte. Ebenso hielt er den Glockenturm des Rathauses bewusst kürzer als jenen des Doms.
  • Palazzo Piccolomini: Rossellino ließ sich nicht nur beim Dombau vom Werk seines Lehrers Leon Battista Alberti inspirieren. So ist der Palazzo Piccolomini stark an Albertis Palazzo Rucellai in Florenz angelehnt. Vom viereckigen Grundriss über die geschickt platzierten Familienwappen und apostolischen Schriften rund um die Fenster bis zur Steinfassade siehst du womöglich viel Vertrautes. Der kleine, rechteckige Innenhof mit Garten und Bogengang wurde hingegen nach den Idealen der Renaissance errichtet. Von der Loggia an der gen Süden ausgerichteten Palastrückseite genießt du einen traumhaften Ausblick auf das Val d’Orcia und den von Papst Pius II. heißgeliebten Monte Amiata.
  • Palazzo Vescovile: Die erweiterten päpstlichen Pläne sahen weitere, durch verschiedene Kardinäle erbaute Paläste vor. Wie du bereits weißt, konnten diese kühnen Vorhaben nach Pius‘ Tod nicht abgeschlossen werden, und so bleibt einzig der Palazzo Vescovile als Memento übrig. Von Kardinal Rodrigo Borgia, der spätere Papst Alexander VI., finanziert, sollte er jene Bischöfe, die Pius II. in Pienza besuchten, beherbergen. Mittlerweile sind das Diözesanmuseum und das Museo della Cattedrale im Palast untergebracht. Religiöse Artefakte, Gemälde aus dem 12. bis 15. Jahrhundert sowie Textilarbeiten aus der Region begleiten deinen Besuch.

 

Kaum vorstellbar, wie Pienzas historisches Zentrum hätte aussehen können, denn die Piazza Comunale mit ihren vier eindrucksvollen Gebäuden ist bereits für sich ein atemberaubendes Must-See. Der prächtige Dom mit seiner stilistischen Pluralität und den monumentale Dimensionen sowie die drei überaus unterschiedlichen und doch so harmonisch eingebetteten Paläste betonen das humanistische Ideal der Renaissance-Städteplanung auf hochgradig vielschichtige Weise. Lass dir Pienza mit dem angrenzenden Val d’Orcia nicht entgegen und freue dich auf gleich zwei UNESCO-Weltkulturerbestätten auf einmal!

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