Die Kunststadt Aosta von der Urzeit bis heute

Kunststadt Aosta

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Im äußersten Nordwesten Italiens liegt das Aostatal, an Frankreich und die Schweiz angrenzend. Die kleine Region ist für ihre natürliche Schönheit und den Tourismus, die zahlreichen Regional- und Nationalparks sowie die prestigeträchtigen, oft grenzübergreifende Skigebiete bekannt. Zudem finden sich im Aostatal französischsprachige Gemeindenamen – ein Verweis auf die gut 900jährige Zugehörigkeit zum Herrschaftsgebiet des Hauses Savoyen. Über die einzelnen Ortschaften der Region spricht man allerdings nur selten, außerhalb der Grenzen kennen wohl nur wenige ihre Namen. Dabei gäbe viel Spannendes zu entdecken. Die Hauptstadt Aosta – sie trägt als einzige Gemeinde des Aostatals einen zusätzlichen italienischen Ortsnamen – ist sogar eine waschechte Kunststadt mit hochspannender Geschichte und packenden Sehenswürdigkeiten. Diesen etwas versteckten und zu Unrecht vergessenen Schatz im Norden Italiens stellen wir dir heute vor.

Wie Aosta zu Aosta wurde

Wo sich heute die Hauptstadt der Region Aostatal erhebt, gab es bereits vor 5000-6000 Jahren erste prähistorische Siedlungen. Die einheimischen Salasser konnten sich mithilfe der natürlichen Alpenbarriere lange Zeit gegen die römische Invasion wehren. Im Jahr 25 v. Chr. eroberte A. Terentius Varro Murena im Rahmen der Augusteischen Alpenfeldzüge schließlich das Aostatal. Die Salasser wurden mehrheitlich als Sklaven verkauft, Augustus ließ aus einem bestehenden Legionslager die Stadt Augusta Prætoria – das heutige Aosta – gründen.

Die ursprüngliche römische Schachbrettstruktur ist noch heute in der Altstadt erkennbar. 64 Häuserblöcke (Insulae) formten das von einer Stadtmauer mit jeweils einem Tor auf allen vier Seiten umgebene Augusta Prætoria, große Bauten wurden auf vordefinierten „Schachbrettfelder“ errichtet. Nach dem Ende des Römischen Reichs kämpften die Franken und die Langobarden um das Gebiet, später ließ Karl der Große die Via Francigena nach Rom durch die Stadt errichten. 1025 erwarb Humbert I. von Savoyen die Region; sie sollte bis 1946 zum Herrschaftsgebiet gehören, auch nach der Eingliederung in das italienische Königreich im Jahr 1861. Während des Faschismus sah sich das Aostatal erzwungener Italianisierung ausgesetzt und war im Zweiten Weltkrieg eines der wichtigsten Zentren des Widerstands. Die Region erhielt nach Kriegsende ein Sonderstatut, um Autonomiebestrebungen sowie Annexionsplänen Frankreichs entgegenzusteuern. Noch heute sprechen knapp 80 % der Bevölkerung Französisch und beinahe 70 % den traditionell volkssprachlichen Dialekt Frankoprovenzalisch.

Das prähistorische Aosta

Es lohnt sich, das überaus vielfältige Stadtbild Aostas chronologisch abzuarbeiten, und so geht es – natürlich – in vorgeschichtlichen Zeiten los. Saint Martin de Corléans am westlichen Stadtrand ist eine der größten Megalithanlagen Italiens. Sie wurde im Juni 1969 entdeckt und in 22 Schichten mit einer Tiefe von bis zu sechs Metern abgetragen sowie analysiert. Auf einer Fläche von ca. einem Hektar erlebst du die Entwicklung dieser Stätte vom Ende des Neolithikums über die Kupfer- und Bronzezeit bis in die Eisenzeit mit. Man vermutet, dass die älteste Phase menschlicher Aktivitäten um 4200 v. Chr. begann. Gepflügte Furchungen deuten rituelle Handlungen an. Der eigentliche Anlagenbau setzte vermutlich zwischen 3000 und 2750 v. Chr. ein. 22 in einer Reihe gesetzte Holzpfähle – es dürfte sich laut Experten um Totems handeln – wurden angebracht, später folgten über 40 anthropomorphe Stelen. Diese dürften feierliche Denkmäler zu Ehren von Helden und Gottheiten sein. Saint Martin de Corléans ist zudem eine Nekropole. Die Bestattungsphase sollte bis in die Bronzezeit andauern, verschiedenste Grabarten und Riten konnten identifiziert werden. Vermutlich wurde die Nekropole sogar bis in die Römerzeit genutzt. Ein gewaltiger, über zwei Gebäude verteilter Museumskomplex bringt dir die Ausgrabungsstätte näher. Hier erfährst du mehr über die verschiedenen archäologischen Phasen und die Entwicklung Aostas von damals bis heute.

Römische Ruinen in Aosta

Kunststadt Aosta

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Wie bereits erwähnt, erkennst du den römischen Aufbau Aostas noch heute bei einem Streifzug durch die Altstadt. Tatsächlich überdauerten einige Strukturen und Bauwerke aus dem Altertum die Zeit, zumindest in Teilen. Die römische Stadtmauer Aostas ist ohne Frage eine Besonderheit. Sie wurde im Mittelalter weiterverwendet und überlebte wohl daher fast komplett. Sie umschließt ein rechteckiges Gebiet von 724 x 572 Metern und ist über weite Strecken über sechs Meter hoch. Zudem sind die Stadttore gen Osten und Süden noch erhalten. Das im 1. Jahrhundert n. Chr. entstandene Haupttor Porta Prætoria wurde in späteren Jahrhunderten mit Marmor bedeckt, konnte seine ursprünglichen Formen ansonsten weitestgehend beibehalten. Der Augustusbogen vor dem Tor sowie die einst über einen Fluss führende Romerbrücke Pont de Pierre stammen ebenfalls aus dieser Zeit.

Nicht alle Gebäude blieben so gut erhalten. Manche Türme der Stadtmauern mögen im Kern noch römisch sein, viele durchlebten jedoch umfassende Änderungen. So wurde der Turm von Bramafam, um ein prominentes Beispiel zu nennen, im 11. Jahrhundert auf den Ruinen einer römischen Bastion erbaut und diente den Vicomtes des Hauses von Savoyen als Residenz. Vom monumentalen, vierstöckigen Theater blieb die Südwand erhalten, auch das Forum existiert bestenfalls noch rudimentär. Ein Abstecher zum römischen Gutshof auf dem Hang oberhalb Aostas lohnt sich immer.

Weitere Sehenswürdigkeiten in Aosta

Das ist aber noch längst nicht alles, was dich bei deinem Besuch der Kunststadt Aosta erwartet. Die Jahrhunderte nach dem Ende römischer Herrschaft hinterließen selbstverständlich ihre Spuren, und so können wir dir folgende Highlights ans Herz legen:

  • Kathedrale: Die Cattedrale di Aosta wurde eigentlich im 4. Jahrhundert erbaut, verschwand allerdings ca. 700 Jahre später von der Bildfläche, um einem neuen Bau Platz zu machen. Im 15. und 16. Jahrhundert fanden weitere Modifikationen statt. Die spätgotische Gestalt, die Renaissance-Fassade, der klassizistische Vorbau aus späteren Jahren ergeben in Verbindung mit dem Mosaikfußboden und den Glasmalereien aus dem 12. und 13. Jahrhundert eine mehr als spektakuläre architektonische Mischung.
  • Sant’Orso: Auch die Wurzeln dieses ehemalige Kollegiatstifts liegen weit in der Vergangenheit – im 5. Jahrhundert, um genau zu sein. Auf eine frühromanische Kompletterneuerung folgte das heutige, spätgotische Erscheinungsbild im 15. Jahrhundert. Während die fünfschiffige, auf zwölf römischen Säulen erbaute Krypta an den Vorgängerbau erinnert, taucht der Freskenzyklus mit Szenen aus dem Leben Christi und der Apostel tief in das 11. Jahrhundert ein.
  • Ponte di Grand Arvou: Die zunehmende Besiedlung des Aostatals, in Verbindung mit Viehzucht, führte zu Engpässen in der Wasserversorgung. Der Kanal Rû Prévôt wurde im 13. und 14. Jahrhundert erbaut, zahlreiche Aquädukte sollten folgen. Zu den prächtigsten Bauwerken dieser Initiative zählt die Ponte di Grand Arvou, die übrigens immer noch in Betrieb ist.
  • Riserva naturale Tzatelet: Etwas außerhalb Aostas liegt eines der schönsten Naturschutzgebiete der Region. Hier findest viele seltene Vogelarten und vielfältige, für die Alpen ungewöhnliche mediterrane Vegetation. Auf dem Tzatelet-Hügel wurde zudem eine neolithische Nekropole gefunden, die vermutlich um 3000 v. Chr. entstand.

 

Obwohl es mit Sicherheit bekanntere Städte in Norditalien als Aosta gibt, solltest die Hauptstadt des Aostatals auf keinen Fall links liegen lassen. Das packende historische Erbe der regionalen Hauptstadt von der Urzeit über das römische Reich bis in die Spätgotik legt so manchen verborgenen Schatz offen, der genauere Betrachtung verdient. Entdecke dieses versteckte Juwel der Alpen, am besten im Rahmen eines mit Sicherheit unvergesslichen Wander- oder Skiurlaubs in der umliegenden Bergwelt.

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