Spätbarocke Städte des Val di Noto

Spätbarocke Städte des Val di Noto

©Bigstock.com/Alvaro German Vilela

Am Abend des 11. Januar 1693 suchte ein schweres Erdbeben das Val di Noto im südöstlichen Sizilien heim. Die Folgen waren verheerend: ca. 60.000 Tote, 70 zerstörte Städte und Dörfer in einem Umkreis von 5.600 km² und gewaltige Flutwellen, die weitere Ortschaften an den Küsten des Ionischen Meeres und der Straße von Messina verwüsten sollten. Die Sizilianer ließen sich von dieser Katastrophe unmenschlichen Ausmaßes nicht demoralisieren und machten sich an die Arbeit, um sämtliche Städte und Dörfer wieder mit Leben zu füllen. Die Region erhielt dadurch ein einheitliches, spätbarockes Bild. Aufgrund der geografischen und architektonischen Homogenität in einer Region, die durch seismische Aktivitäten sowie den Vulkan Ätna stets bedroht ist, erklärte die UNESCO 2002 acht Städte zur Weltkulturerbestätte „Spätbarocke Städte des Val di Noto“ – perfekt für deinen nächsten Urlaub im Süden Italiens!

Catania

Das Erdbeben zerstörte Catania fast vollständig und tötete nahezu zwei Drittel der Bevölkerung. Wie aus dem Nichts wurde die Stadt im für die Region nunmehr charakteristischen Spätbarockstil hochgezogen. Viele Gebäude bestehen aus Lavagestein, was Catania ein überaus spezielles, einzigartiges Antlitz verlieh. Folgende architektonische Meisterwerke darfst du dir auf keinen Fall entgegen lassen:

  • Palazzo degli Elefanti: Die Kombination aus Ätna-Ausbruch und Erdbeben zerstörte den ursprünglichen Palazzo Municipale komplett. Römische Monumentalität – das mächtige Eingangsportal mit freistehenden Doppelsäulen wird von einem gewaltigen Balkon gekrönt – ließ den Palazzo degli Elefanti zu einem der wichtigsten Gebäude der neuen Stadt aufsteigen. Eine zufällig in den Trümmern entdeckte Elefantenfigur aus römischer Zeit mit Satteldecke aus schwarzem Lavagestein säumt den Elefantenbrunnen vor dem heutigen Rathaus.
  • San Nicola: Das Benediktinerkloster hatte im Laufe der Jahrhunderte mehrere Standorte und war einst sogar an einem Hang des Ätna angesiedelt. Zwar blieb der monumentale Wiederaufbau unvollendet, der Figurenreichtum und das typische Lavagestein verleihen dem heutigen Universitätsgebäude allerdings ein mehr als faszinierendes Antlitz.
  • Kathedrale: Ursprünglich im 11. Jahrhundert als normannische Wehrkirche erbaut, schuf Giovanni Battista Vaccarini eine komplett neue Barockfassade für die Kathedrale Sant’Agata, der Schutzpatronin der Stadt geweiht. Zugleich wurde der einigermaßen verschont gebliebene Ostteil im normannischen Stil belassen und in den Neubau integriert. Weite Teile des Barockschmucks wurden mittlerweile entfernt, um Teilen der Kirche ihr ursprüngliches Antlitz zurückzugeben.
  • Palazzo Biscari: Catanias vielleicht bedeutendster Palast befindet sich im Privatbesitz und ist daher aktuell leider nicht zu besichtigen. Die unglaublich detailreiche Fassade glänzt durch beeindruckende Verzierungen, während im Inneren Rokoko regiert.

 

Caltagirone

Auch Caltagirone war stark vom Erdbeben betroffen und wurde über zehn Jahre an gleicher Stelle wiederaufgebaut. Mehrere Erweiterungen und Umbauten in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten ergänzten das spätbarocke Spektrum durch etwas modernere Einflüsse. Von der zu Beginn des 17. Jahrhunderts erbauten Freitreppe Santa Maria del Monte, ein Überbleibsel aus den Zeiten vor der Katastrophe, bis zur neugotischen Villa Patti aus der Zeit um 1900 entdeckst du an jeder Ecke Caltagirones neue Einflüsse und Elemente. Die prächtige Kirchen Santa Maria del Monte und San Giacomo Apostolo sowie das imposante Stadtmuseum begeistern mit ihren spätbarocken Zügen.

Militello in Val di Catania

Gegründet in byzantinischer Zeit, erwartet dich in Militello ein Mix aus etatmäßiger, spätbarocker Architektur und gut erhaltenen Überbleibseln vergangener Epoche. Zwischen rollenden Hügeln und dem weiten Flusstal des Lembasi lasst du dich von der architektonischen Vielfalt beeindrucken. Die Mutterkirche San Nicolò e Santissimo Salvatore ist ein absolutes Muss, alleine schon aufgrund der monumentalen Fassade. Die Kuppel stammt übrigens aus dem 20. Jahrhundert. Wir legen dir Santa Maria della Catena und Santa Maria della Stella, jeweils reich verziert mit Schnitz- und Stuckarbeiten, ebenfalls ans Herz.

Modica

Modica ist heute sozusagen zweigeteilt. Hier fielen die Zerstörungen glücklicherweise nicht ganz so heftig aus, ein Teil des antiken Zentrums an den Südhängen der Monti Iblei – vermutlich bereits vor dem 7. Jahrhundert v. Chr. gegründet – blieb erhalten, entlang des Tals wurde ein zweites Zentrum errichtet. Vielleicht schönstes Gebäude dieser kleinen sizilianischen Perle ist die Kirche San Giorgio, im Mittelalter gegründet und nach dem Erdbeben sorgfältig wiederaufgebaut. Von der mächtigen Fassade bis zur gewaltigen Kuppel gibt es Eindrucksvolles zu entdecken. Aber auch die eigens im neueren Zentrum errichtete Kathedrale San Pietro solltest du dir nicht entgehen lassen. Der gewaltige Treppenaufgang mit Figuren der zwölf Aposteln sowie der typisch sizilianische Glockenturm sind echte Hingucker.

Noto

Spätbarocke Städte des Val di Noto, UNESCO

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Ganz Noto wurde dem Erdboden gleichgemacht. Daraufhin entschied man sich für eine neue Lage – am linken Flussufer des Asinaro – und ein rechtwinkliges Straßenraster basierend auf Plänen von Giovanni Battista Landolina. Stadtbaumeister Rosario Gagliardi und Architekt Vincenzo Sinatra kümmerten sich um den neuen, spätbarocken Look. Und der ist mehr denn eindrucksvoll, denn durch das besondere Rastersystem erhielt jedes Gebäude mehr als ausreichend Platz. San Nicolò, die gewaltige Kathedrale mit der doppeltürmigen Fassade und der monumentalen Kuppel, ist ein absoluter Pflichtbesuch. Wirf ebenso einen genauen Blick auf die verschiedenen Palazzi mit ihren eindrucksvollen Verzierungen. Überall entdeckst du neue, prächtige Details, wie die Balkone des Palazzo Villadorata oder das exorbitante Rathaus Palazzo Ducezio.

Palazzolo Acreide

Im Jahr 664 v. Chr. gründeten Bewohner der Stadt Syrakus eine neue Siedlung, Akrai. Sie verlor an Bedeutung und wurde später zerstört, nur um im 12. Jahrhundert rund um eine Normannenburg als Palazzolo neues Leben eingehaucht zu bekommen. Vom schweren Erdbeben unbeeindruckt, gilt Palazzolo Acreide heute als einer der schönsten Orte Italiens. Zwischen dem mittelalterlichen Zentrum und dem neueren, zweiten Zentrum erwarten dich mehrere traumhafte Kirchen. Der Dom San Sebastiano mit seiner gigantischen Freitreppe sowie die spektakuläre Fassade der Basilica di San Paolo sind Pflicht. Etwas außerhalb befindet sich das Ausgrabungsgebiet der antiken Stadt Akrai – zwar kein Teil der spätbarocken Weltkulturerbestätte, aber dennoch mehr als sehenswert.

Ragusa

Vorchristliche Wurzeln, byzantinischer Einschlag, Spuren der Normannen, Staufer und Aragonesen – all das wurde vom verheerenden Erdbeben vernichtet. Und doch gaben die Einwohner Ragusas nicht auf: Sie errichteten ihre wunderschöne Stadt einfach auf einem etwas höhergelegenen Felsplateau im Westen neu. Eine durch mehrere Brücken erschlossene Schlucht trennt heute den Stadtkern. Während der westliche Teil eher nüchtern und geometrisch gehalten ist – abgesehen von der Kathedrale San Giovanni Battista ist dieser Teil vornehmlich Wohn- und Verwaltungsgebäuden vorbehalten – glänzt der Osten durch spätbarocke Prunkbauten. Insgesamt neun Hauptkirchen und sieben Palazzi begleiten deine Stadttour.

Scicli

Einst von den Normannen zur Königsstadt erhoben, blieb nicht allzu viel von dieser Hochphase Sciclis über. Selbst die einstige Domkirche San Matteo über der Stadt wurde aufgelassen und verfällt langsam, bleibt dennoch eindrucksvolles Wahrzeichen der Stadt. Rund um die geschützte Barockstraße Via Francesco Mormino Penna erwarten dich prachtvolle Kirchen, Museen und Paläste mit dem Palazzo Beneventano als absolutes Muss. Seine detailreichen, ausladenden Verzierungen machen ihn zum großen Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt.

Wir empfehlen dir zumindest eine komplette Woche in der Val di Noto-Region, um das spätbarocke Flair in aller Vielfalt genießen können. Jede der acht Städte ist für sich bereits ein kleines Meisterwerk, in ihrer Gesamtheit begeistern sie immer und immer wieder. Schnell bemerkst du gewisse Ähnlichkeiten in Stilistik und Planung und erkennst, warum die UNESCO diese Region als Repräsentation der „[letzten] Blütezeit der Barockkunst in Europa“ für überaus schützenswert erachtete. Viel Spaß bei deinem nächsten Sizilien-Urlaub!

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