San Gimignanos historisches Zentrum

Eine lange, durchaus nervenaufreibende Fahrt durch die toskanische Hügellandschaft führt dich über enge Straßen mit noch engeren Haarnadelkurven. Gerade mit dem Reisebus ist die Anreise bereits eine atemberaubende Angelegenheit für sich. Und dann breitet sich urplötzlich San Gimignano vor dir aus. Die wunderschöne Kleinstadt wird auch „Mittelalterliches Manhattan“ oder „Stadt der Türme“ genannt. Einst zierten 72 Geschlechtertürme das mittelalterliche Handelszentrum, heute stehen noch derer 15. Der gesamte historische Kern von San Gimignano wurde bereits 1990 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt und legt packende Einsichten in längst vergangene Tage frei, vom vielleicht besten Eis der Welt ganz zu schweigen.

Das Wettrüsten der Patrizierfamilien

San Gimignanos historisches Zentrum, UNESCO

©Bigstock.com/Jorisvo

Die gewaltigen Türme und nicht minder packenden Paläste und Kirchen sind vor allem den Eitelkeiten der mittelalterlichen Patrizierfamilien geschuldet. Sie entstammen einer von Fehden und Auseinandersetzungen geprägten Ära. Vor allem im 12. und 13. Jahrhundert wollte jede Familie die andere übertrumpfen, gerade wenn es wieder einmal Streit und Konflikte auszutragen galt. San Gimignano war eine reiche Stadt. Die zentrale Lage an der Handelsroute Frankenstraße sowie der Anbau von und Handel mit Safran, mit dem Seide gefärbt wurde, sorgte für eine 160jährige Hochphase, die erst im Spätmittelalter endete, als deutlich einfachere Routen über trockengelegte Sümpfe die Frankenstraße weitestgehend nutzlos machte. San Gimignano verarmte zusehends, spätere Epochen hinterließen kaum Spuren.

Bevor es allerdings soweit war, schossen gewaltige Türme in die Höhe, das Wettrüsten hatte begonnen. Ursprünglich waren sie für Wohn- und Verteidigungszwecke gedacht, denn der recht knapp bemessene Platz in San Gimignano ließ breite Bauweisen nur schwer zu. Es musste also nach oben gehen. Was zweckmäßig begann, erhielt schon bald repräsentativen Charakter. Hatte die verfeindete Familie ein Stockwerk hinzugefügt, musste der Turm erweitert werden oder – noch besser – ein neuer, noch mächtigerer Turm her. Diese Auseinandersetzungen führten allerdings auch zur Zerstörung zahlreicher Geschlechtertürme, zudem sorgten der Verfall in späteren Jahren sowie gewisse städtebauliche Projekte zum Abriss anderer Exemplare. Heute sind noch 15 Türme in San Gimignano übrig.

Türme und Befestigung

San Gimignanos historisches Zentrum

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Gleich vorneweg: Jede einzelne Sehenswürdigkeit aufzulisten, die Teil dieser eindrucksvollen Weltkulturerbestätte ist, würde schlicht und ergreifend den Rahmen sprengen. Deswegen stellen wir dir einige ausgewählte Highlights vor. Unser Tipp: Mach bei deinem Spaziergang durch den mittelalterlichen Stadtkern Halt an einer der zahlreichen Eisdielen, denn aus San Gimignano kommen echte, ausgezeichnete Weltmeister dieser Disziplin.

Aber genug von süßen, eiskalten Leckereien (wobei, wer kann davon schon genug kriegen?) – hier sind einige der schönsten Türme und Befestigungsanlagen der Stadt:

  • Torre Grossa: Wie bereits erläutert, kam es im Mittelalter tatsächlich auf die Größe an. Der Torre Grossa ist Teil des Rathaus-Ensembles im Palazzo del Popolo. Mit stattlichen 54 m überragt er Sam Gimignano als größter Turm der Stadt.
  • Torre Rognosa: Vom höchsten kommen wir zum ältesten überlebenden Turm. Der Torre Rognosa reicht immerhin 52 m gen Himmel und entstand wohl um 1200. Mit seiner kleinen, überdachten Terrasse zählt er zu den schönsten und besterhaltenen Türmen.
  • Torre Chigi: Die Art und Weise, wie hier in den Stein geschlagen wurde, gerade die Bögen und Fenster, begeistert. Minutiös genau zwischen mittelalterliche Paläste eingepasst, strahlt seine Schönheit ungebrochene Faszination aus.
  • Die Stadtmauern: San Gimignanos Befestigungsstrukturen entstanden nicht einfach von heute auf morgen. Die Mauern wurden in zwei Phasen errichtet und erstrecken sich insgesamt auf knapp 2,2 km. Während der erste Teil um 998 errichtet wurde, erfolgte der Rest über das 13. und 14. Jahrhundert verteilt. Heute ist San Gimignano über fünf gewaltige Stadttore erschlossen, wobei die Porta San Giovanni eine besondere Rolle einnimmt. Sie beherbergte einst eine kleine Kirche, die jedoch 1922 aus Platzgründen abgerissen wurde. Den Glockenturm kannst du aber nach wie vor sehen.

 

Paläste und Museen

Jetzt aber – zumindest für ein paar Zeilen – wieder genug von Türmen und Mauern. Im Ortskern San Gimignanos erwarten dich gleich mehrere Paläste, Schlösser und Museen, die ebenfalls besucht werden wollen. Folgende Stationen sind Pflicht:

  • Palazzo del Popolo: Auch Palazzo Comunale genannt, ist dieses Gebäude Sitz des heutiges Rathauses mit dem gewaltigen Torre Grossa an seiner Flanke. Die Fassade mit ihren Bogenfenstern – halb aus Stein, halb aus Ziegeln erbaut – beheimatet zudem ein Museum sowie eine Kunstgalerie. Hier siehst du zahlreiche Fresko-Dekorationen und Gemälde großer Söhne der Stadt.
  • Palazzo del Podestà: Vom aktuellen gelangen wir zum alten Rathaus, vom Torre Rognosa adäquat in Szene gesetzt. Beide Gebäude sind nur wenige Schritte voneinander entfernt. Die typische Mischung aus Stein und Ziegel, vom großen Torbogen begleitet, strahlt rustikalen Charme aus. Oberhalb des Eingangs zur großen Halle siehst du mehrere Werke von Giovanni Antonio Bazzi, auch Sodoma genannt.
  • Palazzo Pratellesi: Dieses Prunkexemplar großer Baukunst leuchtet geradezu mit seinen Terrakotta-Bögen. Im Inneren erhascht du mit etwas Glück einen Blick auf ein Fresko von Vincenzo Tamagni.
  • Galleria continua: Nicht alles an San Gimignano widmet sich längst vergangenen Tagen, denn die Stadt beheimatet zudem eine der wichtigsten italienischen Galerien für Gegenwartskunst. Regionale Kunstentwicklung trifft auf internationales Flair.
  • SanGimignano1300: Wie man vor über 700 Jahren in der mittelalterlichen Stadt lebte, zeigt dir diese zehnteilige Ausstellung. Besonders atemberaubend sind die 3D-Nachbildungen des ehemaligen Stadtkerns, darunter längst zerstörte Gebäude, sowie Nachbildungen von Memmo di Filipuccios Fresken, welche einst den Palazzo del Podestà zierten.

 

Die Kirchen San Gimignanos

Was wäre San Gimignano ohne seine Kirchen? Die unzähligen sakralen Gebäude sind natürlich ebenfalls nicht aus dem Stadtkern wegzudenken. Ein letztes Mal widmen wir uns einigen wichtigen Tipps, die du nicht entgehen lassen solltest:

  • Collegiata Santa Maria Assunta: Diese Kirche nimmt eine zentrale Rolle in der Zusammenstellung der Weltkulturerbestätte ein. So wurden die herausragende Schönheit der Fresken von der UNESCO gesondert hervorgehoben. Hinter der schlichten romanischen Fassade verbirgt sich ein reichhaltig dekoriertes Wunderwerk. Mehrere Freskenzyklen, welche sich unter anderem dem Alten Testament, Neuen Testament und Jüngsten Gericht widmen, strahlen mit unglaublicher Farbpracht. Die Renaissance-Kapellen solltest du ebenfalls nicht außer Acht lassen.
  • Sant‘Agostino: San Gimignanos zweitgrößte Kirche wirkt gewaltig, geradezu monumental. Der ausladende Bau aus dem 13. Jahrhundert dominiert Teile des Stadtkerns. Ein 17teiliger Freskenzyklus behandelt das Leben des Heiligen Augustinus, während die Capella di San Bartolo die Gebeine des gleichnamigen Heiligen beherbergt.
  • San Jacopo al Tempio: Hinter den Mauern aus Ziegeln und Travertin verstecken sich zahlreiche Kunstschätze. Die einschiffige Kirche beherbergt atemberaubend schöne Fresken von Memmo di Filipuccio und Pier Francesco Fiorentino. Heute gehört das Gebäude den Nonnen von San Girolamo. Eine verdeckte Überführung verbindet Kirche und Kloster.

 

Nur wenige andere Orte bieten so viel geballte, hervorragend erhaltene Architektur aus dem Mittelalter wie der Stadtkern von San Gimignano. Bei diesem Streifzug über weite Plätze und durch enge Gassen fühlst du dich wie in eine andere Zeit versetzt. Lass dich zwischendurch nieder, am besten beim wohl weltbesten Eis, und lass dich von der einzigartigen Atmosphäre der alten Mauern zu historischen Tagträumen tragen.

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