Sacri Monti im Piemont und in der Lombardei

Als im Spätmittelalter die Pilgerreisen ins Heilige Land langsam, aber sicher abnahmen, suchten italienische Gläubige nach anderen Plätzen und Zielen. Neben den zahlreichen Kirchen, Basiliken und weiteren Sakralgebäuden in den großen Städten wurde vor allem im späten 16. und 17. Jahrhundert eine Serie von neun Kapellenanlagen und weiteren Pilgerstätten an Seen und auf Bergen errichtet. Die Sacri Monti widmen sich verschiedenen Aspekten des christlichen Glaubens und sind außerdem perfekt in die wunderschöne Landschaft eingebettet. Seit 2003 zählen diese neun norditalienischen Anlagen – acht im Piemont und eine in der Lombardei – zum UNESCO-Weltkulturerbe. Zeit für einen Blick auf diese Wunderwerke.

Sacro Monte di Varallo

Sacri Monti

©Bigstock.com/Luca Lorenzelli

Mit der Versinnbildlichung des für viele Pilger unerreichbar gewordenen Heiligen Landes begann man bereits 1491, als der Grundstein für den 45-teiligen Wallfahrtsort Varallo gelegt wurde – es sollte ca. 150 Jahre bis zur Fertigstellung dauern. Vergleichsweise unbekannte Maler und Architekten arbeiteten an einer Fülle an wunderschönen Gemälden und Skulpturen, welche die zahlreichen Kapellen zieren. 600 lebensgroße Holz- und Terrakotta-Figuren sowie über 4.000 gemalte Figuren findest du über sämtliche Bauwerke verteilt. Die prächtige Wallfahrtskirche, der Jungfrau Maria gewidmet, ist ebenfalls einen Besuch wert.

Sacro Monte di Crea

Die Kapellen auf den Hügeln des Montferrats sind bereits etwas älterer Natur. Einst waren sie Darstellungen aus dem Leben Marias gewidmet. Im Rahmen der Sacri Monte-Bestrebungen, durch den Franziskaner Costantino Massino angetrieben, wurde die dem hl. Eusebius von Vercelli zugeschriebene Wallfahrtsstätte ab 1589 allerdings wiederholt baulich verändert und, nach einer teilweisen Zerstörung im Jahr 1820, umfassend restauriert. Somit erwartet dich heute ein spannender Stilmix auf deinem Weg zur großen Wallfahrtskirche mit der Paradieskapelle als ausgewiesenes Highlight. Ein Spaziergang durch den geschützten Naturpark von Sacro Monte di Crea lenkt deinen Blick auf Pflanzenarten, die es heute kaum noch in freier Wildbahn zu entdecken gibt.

Sacro Monte d‘Orta

Oberhalb der Gemeinde Orta San Giulio in der Provinz Novara erwartet dich ein Pilgerweg mit 20 Kapellen, welche einzig und alleine einem Heiligen gewidmet sind. Bei deinem Spaziergang stößt du auf Szenen aus dem Leben des hl. Franziskus von dessen Geburt über die Berufung bis zum Wirken, Tod und dem Heiligenwunder. Ursprünglich waren sogar 36 Kapellen geplant, was aus organisatorischen Gründen jedoch nicht klappte – kein Problem, denn die bestehenden Bauwerke sind für sich bereits eine atemberaubend schöne Wohltat. Auf dem spiralförmigen Weg nach oben begegnest du Pilgern aus aller Welt. Sie fühlen sich von der Kirche am Gipfel des Sacro Monte magisch angezogen. Eigentlich aus dem 11. Jahrhundert stammend und dem hl. Nikolaus geweiht, ließ eine Umgestaltung im Stil der unteren Basilika San Francesco von Assisi den hl. Franziskus zum Mitpatron „aufsteigen“.

Sacro Monte di Varese

Sacri Monti, UNESCO

©Bigstock.com/disto89

Gläubige schrieben den siegreichen Ausgang der Schlacht von Lepanto im Jahr 1571 ihren Fürbitten an die Gottesmutter zu. Auf Initiative des Kapuziners Giovanni Battista Aguggiari aus Monza wurde 1604 dieser heilige Berg gegründet und, natürlich, den Rosenkranzgeheimnissen als Hauptthema gewidmet. Aus der ehemaligen mittelalterlichen Kultstätte, später zum Nonnenkloster umgebaut, wurde eine der Jungfrau Maria gewidmete Wallfahrtskirche. Eine eigens errichtete von Mauern umspielte Straße führt dorthin. Auf dem Weg warten 14 Kapellen mit Skulpturen im Palladiostil. Feine Variationen machen jedes Bauwerk für sich einzigartig und sehenswert.

Sacro Monte d‘Oropa

Biella war für Pilger kein Neuland. So befanden sich bereits vor Errichtung des Sacro Monte diverse Kapellen und Stätten im Ortsteil Oropa, welche jedoch ab dem Jahr 1620 erneuert, umgebaut und um weitere Bauwerke ergänzt wurden. Heute findest du insgesamt 19 Kapellen auf deinem Pilgerweg, von denen zwölf nahezu parallel angeordnete Gebäude dem Marienleben gewidmet sind. Die sieben übrigen Stationen befassen sich mit verschiedensten Episoden aus dem Christentum. Im Gegensatz zu vergleichbaren Stätten setzt der Sacro Monte d’Oropa auf ausgeprägte alpine Merkmale mit Abdeckungen aus Steinplatten und verbindet somit den klassischen Sakralstil seiner Zeit mit Lokalkolorit – ein Erlebnis für sich.

Sacro Monte d‘Ossuccio

Wie auch Varese, widmet sich der Wallfahrtsort in Ossuccio an der Westseite des Comer Sees Darstellungen den Rosenkranzgeheimnissen. In 14 Kapellen, zwischen 1635 und 1710 errichtet, begleiten 230 Terrakotta-Statuen den Ausdruck der freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen Mysterien. Der ansteigende Weg erstreckt sich von der Verkündigung über den Tempel bis zur Kreuzigung und Auferstehung und schließlich Marias Aufnahme in den Himmel. Oben angekommen, beschließt die katholische Wallfahrtskirche als 15. Station den Pilgerweg. Am Hochaltar ist die Krönung der Gottesmutter im Himmel zu sehen, von einem feinen Spiel aus Licht und Schatten erhaben in Szene gesetzt.

Sacro Monte di Ghiffa

Der Legende nach soll sich bereits im 4. Jahrhundert eine Kapelle oberhalb von Ghiffa am Lago Maggiore befunden haben. Im 12. und 13. Jahrhundert entstand ein historisch belegtes, romanisches Oratorium, das angesichts steigenden Zustroms konstant erweitert wurde. Ende des 16. Jahrhunderts folgte schließlich der Ausbau zum Sacro Monte. Drei Kapellen mit biblischen Szenen, ein mit Kreuzweg-Darstellungen versehener Laubenweg sowie die streng gehaltene Wallfahrtskirche laden auf einen Streifzug durch die Bibelgeschichte ein. Rund um den Sacro Monte di Ghiffa erstreckt sich zudem ein Sondernaturschutzgebiet, das in den letzten Jahrzehnten sorgfältig aufgeforstet wurde und zu ruhigen, besinnlichen Spaziergängen einlädt.

Sacro Monte di Domodossola

Für zwei Kapuziner war 1656 der Hügel Colle Mattarella oberhalb von Domodosso der perfekte Ort für eine Wallfahrtsstätte. So sollte es letztlich auch sein, und so entstanden zwölf dem Kreuzweg gewidmeten Kapellen sowie eine weitere Kapelle zu Ehren der Auferstehung. Die prächtigen Darstellungen – teils statuarisch, teils aus Fresko – begleiten dich auf deiner Wanderungen gen Gipfel, wo sich die achteckige Wallfahrtskirche erhebt. Mindestens so spannend wie der Sacro Monte an sich ist der dazugehörige Park. Auf deinem Spaziergang stößt du unter anderem auf die Überreste einer 1415 von Schweizer Soldaten zerstörten Burg sowie prächtige Flora und Fauna, die Teil dieses Sondernaturschutzgebietes ist.

Sacro Monte di Belmonte

Dieses abschließende Kapitel der Sacri Monti sollte sich am längsten ziehen. Erst 1712 wurde auf Initiative des strenggläubigen Minderbruders Michelangelo von Montiglio mit der Errichtung begonnen, die Fertigstellung dauerte aufgrund mehrerer Unterbrechungen über hundert Jahre. Sämtliche Kapellen wurden in fixen Abständen errichtet. Aufbau und Ausstattung der dem Rosenkranzgeheimnis gewidmeten Bauwerke gestalten sich recht einheitlich, was auf einen einzigen, anonym gebliebenen Architekten schließen lässt. Das von üppiger Vegetation umgebene Heiligtum leuchtet dir förmlich entgegen.

Du musst kein Gläubiger sein, um dich in den Bann der atemberaubenden Sacri Monti ziehen zu lassen. Neun höchst unterschiedliche und auf gewisse Weise doch einheitlich wirkende Pilgerstätten laden dich zu einer etwas anderen Entdeckungsreise durch Norditalien ein. Lass sich von ausgeklügelter Architektur, großer Kunst und aufregender natürlicher Schönheit begeistern!

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