Pavia – Kunststadt mit einzigartiger Geschichte

Kunststadt Pavia

©Bigstock.com/Claudiogiovanni

Für Städteurlauber ist Pavia vielleicht nicht gerade die absolute Top-Adresse, doch Geschichteinteressierte schnalzen bei der bloßen Erwähnung mit der Zunge. Schließlich endete hier einst das Weströmische Reich, bevor die Stadt im Südwesten der Lombardei zum wichtigen Zentrum der Wissenschaft und Kunst aufstieg. Ein Blick über den Tellerrand lohnt sich immer, denn Pavia ist Heimat prächtiger romanischer und gotischer Bauwerke und lädt zu genussvollen Stadttouren zwischen historischen Gemäuern und charmanten Cafés ein. Bitte anschnallen, denn jetzt geht es los!

Wo das Weströmische Reich unterging

Wo die exakten Wurzeln des heutigen Pavias liegen, ist eine Streitfrage der alten Gelehrten. Plinius der Ältere schreibt die Stadtgründung zwei ligurischen Stämmen zu, während Claudius Ptolemäus die keltischen Insubrer benennt. Als Ticinum war die Stadt eine wichtige befestigte Garnison zu Zeiten des Römischen Reiches, die im Laufe der Jahrhunderte immer weiter wuchs. Hier dankte im Jahr 476 mit Romulus Augustus der letzte weströmische Kaiser ab. Pavia wurde später, nach dreijähriger Belagerung, zur Hauptstadt des Langobardenreichs. Selbst Karl der Große sollte zwischen 773 und 774 neun Monate brauchen, um die Stadt einzunehmen. Einfälle der Ungarn sowie Bürgeraufstände in späteren Jahrhunderten wurden blutig niedergeschlagen.

Pavia behielt als Teil des Heiligen Römischen Reiches vornehmlich symbolische Bedeutung, bevor es sich in späteren Jahrhunderten zu einer der wichtigsten Städte Italiens entwickelte. Die Visconti, Herrscher über Mailand, nahmen Pavia 1359 nach langer Belagerung ein und machten es zum Zentrum norditalienischer Wissenschaft und Kunst. Die Universität wurde bereits zwei Jahre nach der Eroberung eröffnet. Während der Italienkriege im 16. Jahrhundert belagerten französische Truppen die Stadt für mehrere Monate. Des Königs Niederlage und Gefangennahme bei der Schlacht von Pavia 1525 zählt zu den zentralen Ereignissen der frühen Neuzeit. In weiterer Folge gab es spanische, österreichische und napoleonische Herrschaftsperioden, bevor auch Pavia 1860 in das italienische Königreich eingegliedert wurde.

Das romanische Pavia

Kunststadt Pavia

©Bigstock.com/elesi

Was Pavia aus architektonischer Sicht so spannend macht, ist die relativ deutliche Unterteilung der meisten städtischen Sehenswürdigkeiten in zwei Hauptepochen, begleitet von einigen weiteren ausgewählten Highlights späterer Tage. Unser erster Stopp führt uns in die Romanik und widmet sich vor allem Gebäuden, welche in Zeiten der Karolinger und des Heiligen Römischen Reiches entstanden.

  • San Michele Maggiore: Ein Streit um die italienische Königskrone führte im frühen 11. Jahrhundert zur Vernichtung des langobardischen Vorgängerbaus in den Flammen Aufständischer. Knapp 100 Jahre später wurde die heutige Basilika errichtet und binnen kürzester Zeit von einem schweren Erdbeben zerstört. Erst am 15. April 1155, pünktlich zu Barbarossas Königskrönung, stand San Michele Maggiore endlich. Hier treffen lombardische und romanische Architektur aufeinander. Die Sandsteinbasilika gilt als Prototyp mittelalterlicher Kirchenbauten aus der Region.
  • San Pietro in Ciel d‘Oro: San Pietro weist zahlreiche Parallelen zu San Michele Maggiore auf. Auch hier gab es einen Vorgängerbau, auch hier wurde nach der Königskontroverse neugebaut, auch hier sorgte das Erdbeben für schwere Schäden. Hinter der recht schlichten Backsteinfassade verbirgt sich eine prächtige Basilika mit goldenem Relief an der Decke der Apsis. San Pietro in Ciel d’Oro ist vor allem für die Grabmäler des Philosophen Boethius, des Heiligen Augustinus und des Langobardenkönigs Liutprand bekannt.
  • San Teodoro: Diese dritte romanische Basilika besitzt ebenfalls langobardische Wurzeln. Zu Ehren des gleichnamigen Heiligen und Schutzpatrons Pavias errichtet, verbindet sie die Schlichtheit der Epoche mit spektakulären Fresken, welche die Stadt aus der Vogelperspektive zeigen.
  • Die Türme: Im 12. Jahrhundert gab es an die 50 Geschlechtertürme in Pavia, von einflussreichen Familien zu Wohn- und Verteidigungszwecken errichtet. Ihrer drei existieren heute noch als freistehende Türme, weitere Überreste wurden in Häusern verbaut. Der prächtige Torre Civica, wo einst die Domglocken aufgehängt waren, stürzte leider 1989 ein.

 

Das gotische Pavia

Kunststadt Pavia

©Bigstock.com/Robik70

Nun wagen wir einen im wahrsten Sinne des Wortes epochalen Sprung. Mit der Machtübernahme der Visconti aus Mailand änderte sich das Stadtbild. Zahlreiche gotische Bauwerke entstanden und beeindrucken heute noch:

  • Certosa di Pavia: Zunächst richtest du deinen Blick auf das vielleicht wichtigste Gebäude Pavias. Gian Galeazzo Visconti, der damalige Herzog von Mailand, ließ sich ein Kloster im Park seines Schlosses errichten, wo er später begraben werden sollte. Der mächtige Klosterkomplex der Certosa ist in seinem Kern gotisch, weist aber ebenso Elemente der Renaissance sowie des Barock auf. Täglich außer montags kannst du die Kartause der Zisterziensermönche mit ihren farbenfrohen Malereien und zahlreichen Grabstätten besichtigen.
  • Santa Maria del Carmine: Dieser Vorzeigebau lombardischer Gotik greift an der schlanken Fassade sogar ein wenig auf romanische Motive zurück, denkt diese jedoch geschickt weiter. Sechs Pilaster mit Spitztürmen, mehrere Portale und eine gewaltige Fensterrose zieren das Backsteinwunderwerk.
  • Castello Visconteo: Gian Galeazzos Vater Galeazzo II. ließ sich ein Schloss erbauen, das vor allem repräsentative Wohnzwecke erfüllen sollte. Hier sind mittlerweile verschiedene städtische Museen untergebracht, darunter eine gewaltige Pinakothek, ein Risorgimento- und ein archäologisches Museum.
  • San Francesco d’Assisi: Während viele romanische Kirchen Pavias langobardischen Ursprungs sind, wurde hier ausnahmsweise ein romanischer Bau in die Gotik transportiert. Die Franziskanerkirche beeindruckt mit ihrer fürstlichen Backsteinfassade, ein wenig mit Santa Maria del Carmine vergleichbar.
  • Ponte Coperto: Von Adaption zu Nachbau: Mitte des 14. Jahrhunderts entstand eine gotische Brücke, um die Altstadt mit dem Stadtteil Borgo Ticino zu verbinden. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde sie ein paar Meter östlich nachgebaut.

 

Was dich außerdem in Pavia erwartet

Na, hast du schon genug von Pavia? Nein? Prima, denn wir hätten da noch ein paar Geheimtipps (mehr oder weniger) für deinen nächsten Besuch:

  • Duomo di Pavia: Die Vorgänger mögen romanisch sein, die Anfänge in der Gotik liegen, doch blickt der Dom auf eine bewegte Baugeschichte von über 400 Jahren mit entsprechend großer stilistischer Pluralität zurück. Auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes errichtet, fällt dein Blick vor allem auf die gewaltige Kuppel. Sie ist 97 Meter hoch, ca. 20.000 Tonnen schwer und verfügt über 34 Fenster. Einzig der Petersdom in Rom sowie Santa Maria del Fiore in Florenz verfügen über größere Kuppeln.
  • Universität: Obwohl sie bereits 1361 gegründet wurde und somit zu den ältesten Europas zählt, wurde der zentrale Gebäudekomplex der Universität erst viel später und in mehreren unterschiedlichen Bauphasen hinzugefügt sowie adaptiert. Zwischen 1534 und 1850 entstanden gleich zwölf Höfe mit barocken bis klassizistischen Fassaden. Grabmäler alter Gelehrter, Terrakotta-Dekorationen und Renaissance-Elemente machen dieses Zentrum des Wissens zu einer ganz eigenen Sehenswürdigkeit.
  • Santa Maria di Canepanova: Bei all den Kirchen, Basiliken und Kathedralen in Pavia gibt es selbstverständlich auch ein sakrales Renaissance-Bauwerk. Santa Maria di Canepanova ist eine Arbeit von Giovanni Antonio Amadeo, der unter anderem den Mailänder Dom gestaltete. Der ad quadratum-Stil wurde von der Cappella Colleoni in Bergamo adaptiert.

 

Du siehst: Pavia ist nicht nur von großer historischer Bedeutung, sondern hat so manchen versteckten Schatz zu bieten, so wie sich das eben für eine echte Kunststadt gehört. Wandle auf den Spuren alter Herrscher und lass dich vom fließenden Übergang zwischen Romanik und Gotik beeindrucken – Pavia ist gewiss immer eine Reise wert.

Kommentare sind geschlossen.