Kunststadt Noto in sizilianischem Barock

In weiten Teilen Siziliens ist der spätbarocke Stil überaus präsent, was den Städten und Dörfern einen einheitlichen und zugleich schillernden Anstrich verpasst. Im Val di Noto, einer von vulkanischen Aktivitäten bedrohten Region, fällt diese Häufung besonders stark auf. Acht Städte wurden 2002 zum Weltkulturerbe erklärt, darunter die überaus charmante Kunststadt Noto. Ein kompletter Neuaufbau nach einem verheerenden Erdbeben sorgte für das heutige recht homogene Stadtbild, unter das sich ein paar modernere Farbtupfer sowie Reste des reichhaltigen antiken Erbes mischen. Deine Tour durch das rechtwinkelige Straßenraster führt dich vorbei an zahlreichen Kalktuff-Gebäuden und zeigt dir die vielleicht schönsten Exemplare sizilianischer Baukunst.

 

Die Geschichte zweier Notos

Vor Noto war Netum, eine ansehnliche antike Stadt ca. acht Kilometer nordwestlich der heutigen Kunststadt gelegen. Von den Sikelern gegründet und früh von Syrakus erobert, gaben die Römer die Stadt an Hieron II., eine zentrale Figur im Ersten Punischen Krieg, bevor sie schließlich komplett unter römische Herrschaft gelangte. Wenig überraschend wurden sikelische, griechische und römische Strukturen sowie Artefakte in diesem Gebiet gefunden. Unter arabischer Herrschaft stieg Noto zu einem der wichtigsten Orte der Insel auf und war 1091 Italiens letzte muslimische Bastion, bevor die Normannen Reichtum in die Stadt brachten.

 

Die Stadt großer Denker erlebte am 11. Januar 1693 eine verheerende Zäsur, als ein schweres Erdbeben das Val di Noto traf. Das mittelalterliche Noto verschwand nahezu komplett von der Bildfläche, mehr als die Hälfte der Bevölkerung kam um. Man entschied sich, die Stadt am linken Ufer des Asinaro, etwas näher an der Küste, erneut aufzubauen. Unter Stadtbaumeister Rosario Gagliardi entstand das heutige rechtwinkelige Straßenraster sowie der einheitliche sizilianische Barockstil. Deswegen sieht die Kunststadt Noto heute nahezu wie aus einem Guss aus.

 

Die Kirchen

©Bigstock.com/Alberto SevenOnSeven

©Bigstock.com/Alberto SevenOnSeven

Unter den zahlreichen Gebäuden, die in den Jahrzehnten nach dem Erdbeben hochgezogen wurden, befinden sich selbstverständlich mehrere Kirchen. Zwischenzeitlich war die Kunststadt Noto sogar zur Diözese erhoben worden, und diese Gotteshäuser waren dafür mitverantwortlich:

  • San Nicolò: Die Kathedrale bzw. der Dom der Kunststadt ist ohne Frage Notos größte und bekannteste Kirche. Zunächst als Hauptpfarrkirche errichtet und im Laufe des 18. Jahrhunderts umfassend erweitert, leuchtet dir die Fassade aus blassgelbem Kalkstein geradezu entgegen. Die prächtigen Türme und die breite Freitreppe verleihen der Kathedrale ein stattliches Erscheinungsbild. Hingegen wirkt der Innenraum vergleichsweise nach dem Einsturz der Kuppel und der Seitenschiffe im Jahr 1996 (aufgrund von Materialermüdung und Erosion) schlicht. Die Kathedrale wurde inzwischen umfassend renoviert, die wiedererrichtete Kuppel mit neuen Fresken versehen.
  • Santissimo Salvatore: Diese Kombination aus Kirche und Benediktinerkloster zeigt sich vergleichsweise einfach und doch praktisch. Auffällig ist der Balkon mit eisernem Gitterwerk, wo die Nonnen des Klosters die Messe hören konnten, begleitet von einem Ausblick auf die Piazza vor dem Gebäude. Das Kloster an sich ist heute nur noch für Seminaristen vorgesehen.
  • San Carlo al Corso: Alleine schon die gewölbte Fassade macht diese Kirche mit anliegendem Jesuitenseminar und -kloster zum absoluten Hingucker. Die klassische Komposition der Säulen und Kapitelle spielt mit dorischen, ionischen und korinthischen Stilelementen. Prächtige Gemälde, Statuen und Fresken zieren das reichlich geschmückte Innere.
  • San Domenico: Auch diese Kirche zeichnet sich durch stilistisch vielfältige Säulen aus, die dorische und ionische Merkmale aufnehmen und dieses Meisterwerk Gagliardis gekonnt umspielen. Dazu passen die umfassenden, prächtigen Stuckarbeiten in San Domenico, welche diverse biblische Szenen darstellen.
  • San Girolamo: Dieses auch als Chiesa di Montevergine bekannte Gebäude wurde ursprünglich für benediktinische Nonnen errichtet. Eine weitere gewölbte Fassade wirkt durch den vergleichsweise engen Korridor vor der Kirche besonders imposant. Abermals lässt du dich von schillerndem Stuck verzaubern.

 

Weitere Sehenswürdigkeiten in Noto

©Bigstock.com/vvoevale

©Bigstock.com/vvoevale

Das ist selbstverständlich nur ein kleiner Auszug der zahlreichen Kirchen in der Kunststadt Noto. Wir wollen uns aber noch ein paar anderen Gebäuden widmen, die du während deines Stadtspaziergangs unbedingt ansteuern solltest:

  • Palazzo Ducezio: Benannt nach dem Sikeler-Führer Duketios, dem Gründer der Stadt, beheimatet dieser Palast heute das Rathaus. Der Palazzo wurde sichtlich von französischen Palästen inspiriert, die Louis-quinze-Möblierung holt einen Hauch Rokoko in die Präsentation. Vom Balkon vor dem Sitzungssaal genießt du einen direkten Blick auf die Kathedrale.
  • Palazzo Nicolaci: Zwischen Ende Mai und Anfang Juni steht Noto im Bann der Infiorata. Wochen- und monatelang wird an komplexen Blumenteppichen und -Gemälden auf Straßen und Treppen gearbeitet. Schauplatz ist vor allem der Palazzo Nicolaci mit seinen 90 opulent ausgeschmückten Räumlichkeiten. Hier befindet sich außerdem die Stadtbibliothek.
  • Museo Civico: Notos städtisches Museum ist in zwei Abschnitte unterteilt. Einerseits erhältst du hier spannende Einblicke in die Geschichte der Region mit zahlreichen Funden des archäologischen Komplexes. Ebenfalls sehenswert ist die zeitgenössische Kunstgalerie, die dir die jüngere Kunstgeschichte Siziliens näherbringt.

 

Netum und die Villa Romana

Der Großteil der antiken Strukturen Notos sind von den Ruinen der zerstörten mittelalterlichen Stadt verdeckt, abgesehen von drei in Stein geschlagenen Kammern. Ausgrabungen im Umland legten unter anderem christliche und byzantinische Katakomben sowie sikelische und griechische Friedhöfe offen. In Netum oder Noto Antica, so der Name der alten antiken Stadt, wurden Ruinen eines alten Amphitheaters sowie eines Gymnasions gefunden, zudem eine griechische Inschrift, die auf Hieron II. verweist.

 

Im Umkreis der Kunststadt Noto findest du weitere Zeugnisse des antiken Erbes. Acht Kilometer südlich stößt du auf Eloro oder Helorus, eine antike griechische Stadt an der Küste und der Mündung des Flusses Tellaro. Griechische Keramiken belegen, dass Eloro wohl im 8. Jahrhundert v. Chr. gegründet wurde. Unter anderem wurden Tempel, Straßen und Wohnhäuser sowie Hinweise auf zwei quadratische Türme und einen Mauergürtel gefunden. Einen weiteren Kilometer südlich findest du die Villa Romana del Tellaro, eine römische Villa aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Sie ist vor allem für ihre hervorragend erhaltenen Bodenmosaike bekannt, die dich womöglich an die Villa Romana del Casale erinnern.

 

Hinter dem ziemlich einheitlichen Auftreten der Kunststadt Noto verbergen sich faszinierende kleine und große Meisterwerke und Geheimtipps, die unbedingt entdeckt werden wollen. Die UNESCO-Weltkulturerbestätte fällt gewiss im besten Sinne aus dem Rahmen und zeigt dir die volle Schönheit des sizilianischen Barocks in Reinkultur. Begleitet von spannenden Spuren des antiken Erbes, vor allem im Umland, erwartet dich ein in jeder Hinsicht packendes, hochgradig spannendes Reiseziel, das hinter der homogenen Fassade manch einen Schatz offenbart. Wenn du Sizilien besuchst, ist die Kunststadt Noto ein Muss!

Kommentare sind geschlossen.