Evaporitischer Karst und Höhlen im Nordapennin

©Piero Lucci, www.venadelgesso.it

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Sommer, Sonne, Strand – drei Begriffe, die für viele Urlauber synonym mit Italien sind. Und dann gibt es da natürlich noch das reiche kulturelle und historische Erbe, begleitet von der hervorragenden Küche. Als wären das noch nicht genug Gründe, unzählige Städte und Dörfer zu besuchen, gibt es noch … faszinierende Geologie? Eine neue UNESCO-Welterbestätte widmet sich exakt dieser Forschungsdisziplin und stellt eine etwas andere Seite der Emilia Romagna vor. Der evaporitische Karst und die Höhlen im Nordapennin widmen sich einer der besterforschten Karst-Regionen der Welt mit besonders tiefen Gipshöhlen, die weit unter die Erdoberfläche führen.

 

Evapo-was, Kar-wer?

Stein und Fels dominieren diese Welterbestätte – so weit, so gut. Aber was hat es damit eigentlich auf sich? Und macht diese Region so besonders? Da wäre beispielsweise das sogenannte Evaporit, auf dem lateinischen Begriff „evaporo“ („ausdünsten“ oder „ausdampfen“) basierend. Es bildet sich durch eine chemische Reaktion in Meeres- und Seebecken, in denen im trockenen Klima eine verdunstungsbedingte Übersättigung gelöster Mineralien entsteht. Zu den häufigsten Evaporiten bzw. Evaporit-Mineralien zählen Halit, Anhydrit und Gips.

 

Hingegen beschreibt Karst eine Geländeform, die unterirdisch (vornehmlich in Form von Höhlen) sowie oberirdisch auftreten kann. Er entsteht durch die Ausfällung und Verwitterung verschiedener Sedimente mit zumeist unterirdischem Wasserhaushalt. Karstlandschaften gibt es gerade im Mittelmeerraum sehr häufig, wobei jene in mediterranen Gebieten, im Gegensatz zu vergleichbaren Gebieten in Südostasien und Südchina, bereits seit der Antike landwirtschaftlich genutzt werden, unter anderem für die Herdenviehhaltung. Wenig überraschend strahlt der evaporitische Karst des Nordapennin mit seinen Höhlen seit jeher große Faszination aus und wird bereits seit dem 16. Jahrhundert wissenschaftlich untersucht.

 

Der geologische Nordapennin

Die neue Welterbestätte bringt Masse mit Klasse mit, umfasst sie doch insgesamt eine Fläche von 3.600 Hektar, verteilt auf sieben Bereiche oder Komponenten. Weit über 900 Höhlen auf einer Länge von mehr als 100 km ziehen sich durch dieses Gebiet, das sich vom Südosten bis zum Nordwesten der Emilia Romagna erstreckt und die Provinzen Reggio Emilia, Bologna, Rimini und Ravenna einschließt. Große Städte wie auch Naturparks fallen in dieses gewaltige Gebiet, das sich zudem durch seinen verstreuten, fragmentierten Aufbau auszeichnet. Wer somit den gesamten Karst des Nordapennin besuchen möchte, muss Zeit und Geduld aufbringen, sofern dieser überhaupt zu besichtigen ist. Zahlreiche Höhlen, die bis zu 265 m unter der Erdoberfläche liegen, sind nur Geologen und Höhlenforschern zugänglich, in anderen sind Führungen möglich. Und doch will dieses Gebiet ob seiner Vielfalt, seiner Wichtigkeit und seiner ausgesprochenen Schönheit unbedingt genauer unter die Lupe genommen werden.

 

©Piero Lucci, www.venadelgesso.it

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Sieben Komponenten, eine Welterbestätte

Die geradezu monumentale Weite des Apennin bietet natürlich die perfekte Kulisse für imposante Felsformationen und versteckte Höhlen. Im nördlichen Teil des Gebirgszugs befinden sich sieben Gebiete oder Komponenten, die gemeinsam eine Welterbestätte ergeben und manch eine kleine Schönheit offenbaren.

 

 

  • Alta Valle Secchia: Der wohl größte Teil dieses neuen Welterbes befindet sich im Nationalpark Toskanisch-Emilianischer Apennin im äußersten Nordwesten der Romagna und weist die größte Karstausbreitung der Region auf. Hier sorgt das Gestein für manch bizarre, zugleich atemberaubend schöne Formation, beispielsweise rund um die sogenannte „Fontana Salsa“. Diese Quelle unweit des Flusses Secchia zeichnet sich durch ihren hohen Salzgehalt und eine nicht minder beeindruckende Fließgeschwindigkeit aus. Im Karstsystem des Monte Caldina befindet sich hingegen die tiefste Evaporit-Höhle der Welt, die hunderte Meter unter die Erdoberfläche reicht. Aufgrund des porösen Gips-Gesteins tauchen im Alta Valle Secchia vermehrt Senkgruben auf – eine Entwicklung, die sich wahrscheinlich fortsetzen wird.
  • Bassa Collina Reggiana: Gipsstuck aus dem Bassa Collina Reggina gilt seit dem 17. Jahrhundert als kostengünstige und zugleich formschöne Alternative zu gängigen Schmucksteinen und wird seit jeher für architektonische und kunstvolle Zwecke verwendet. Zahlreiche Kirchenaltäre tragen somit Elemente dieser Karst-Landschaft in sich. Dieses Gebiet im Norden der Romagna, etwas näher an Modena, verbirgt seine Karst-Schätze vor allem unter der häufig bewaldeten Oberfläche. Rund um Borzano wartet ein mächtiges Höhlensystem, über dem ein nicht minder eindrucksvolles Schloss thront.
  • Gessi di Zola Predosa: Die geologische Reise setzen wir gen Süden fort und nähern uns Bologna. Das flächenmäßig kleinste Karstgebiet zeichnet sich durch erstaunliche Vielfalt aus. Verschiedene Oberflächenformen, wie Blindtäler und Erdfälle mit Durchmessern von bis zu einem Kilometer, treffen auf spektakuläre Höhlen. Menschliche Eingriffe, vornehmlich im Bergbaubereich, veränderten die Karstlandschaft jedoch nachhaltig, darunter die gewaltige Michele-Gortani-Höhle. Zahlreiche Kirchen, Klöster und mittelalterliche Siedlungen ziehen sich wie ein roter Faden durch das Gebiet.
  • Gessi Bolognesi: Im (nahezu) gleichnamigen Naturpark, nur wenige Kilometer von Bologna entfernt, befindet sich dieses relativ gemäßigte Hügelland mit vielen Wäldern und Feldern sowie einigen wenigen markanten Felsformationen. Zahlreiche Höhlen und Karst-Formationen verbergen sich in Gessi Bolognesi – über 160, um genau zu sein, mit einer Gesamtlänge von etwa 20 km. Seltene Wandkarstgebilde, die bereits 1876 wissenschaftlich dokumentiert wurden, verstecken sich unter der Oberfläche. Die Gessi Bolognesi sind aber vor allem für ihre natürliche Schönheit bekannt, die Grünland und Gipsgestein erstaunlich harmonisch zusammenbringt. Idyllische Kirchen und teils stillgelegte Klöster unterstreichen die geradezu mystische Aura des Naturparks.
  • Vena del Gesso Romagnola: Das zweitgrößte Karstgebiet der UNESCO-Welterbestätte befindet sich im ebenfalls fast gleichnamigen Naturpark und erstreckt sich auf einer Länge von mehr als 40 km westlich von Imola und Faenza. Spektakuläre Grau- und Silbertöne zeichnen das gipsreiche Felsgestein aus und ergeben einen oftmals geradezu unwirklichen Schimmer, dem die immergrünen Natur gegenübersteht und unzählige Wanderungen über schmale Pfade begleitet. Zahlreiche Ruinen alter religiöser und militärischer Strukturen säumen deinen Weg, wie auch die verschiedenen Höhlen – mehr als 200 an der Zahl – und hydrogeologischen Tunnel. Einige der ältesten Höhlenminerale des Landes wurden unweit der Banditi-Höhle gefunden und entstanden wohl vor etwa 580.000 Jahren. Anhand verschiedener Flussterrassen innerhalb der Grotten und Höhlen lässt sich die Kraft des Wassers, die sich über Jahrtausende den Weg durch den Gips bahnte, annähernd nachvollziehen.
  • Evaporiti di San Leo: Unweit des Kleinstaats San Marino befinden sich zwei weitere Welterbe-Schauplätze. Rund um San Leo gibt es ebenfalls einiges an Gipsgestein mit einer gewaltigen Höhle, deren Ursprung wohl viele Millionen Jahre zurück in die Vergangenheit reicht. Weltweit einzigartige kristalline Formen verleihen den Höhlenwänden besonderen Glanz, im wahrsten Sinne des Wortes. Übrigens ist die auf einem gewaltigen Felsen gelegene Ortschaft San Leo selbst einen Besuch wert und wurde sogar bereits von Dante Aligheri in seiner „Göttlichen Komödie“ erwähnt.
  • Gessi di Onferno: Dieses letzte Höhlensystem liegt südlich von San Marino und ist nur wenige Kilometer von der Riviera von Rimini entfernt. Ein wahres Netzwerk an Grotten offenbart sich im Onferno-Naturschutzgebiet mit imposantem Alabasterstein, den du am besten im Rahmen einer Führung bestaunst. Bizarre Formationen aus Fels und Gips begleiten zahlreiche unterirdische Höhlen und Tunnel. Hier hat sich unter anderem eine gewaltige Fledermauskolonie angesammelt, über die du ebenfalls mehr erfährst. Ein kleiner Abstecher ins Besucherzentrum mit seinen spannenden Museen rundet die Tour gekonnt ab.

 

Nicht nur für Höhlenforscher ist diese neueste Welterbestätte Italiens hochspannend. Alleine schon die faszinierenden Felsformationen machen einen Besuch der Karst-Landschaften und Höhlen der Emilia Romagna zu einem Muss, von den kleinen Ortschaften rundherum, den Wanderungen und den unterirdischen Touren ganz zu schweigen. Mit dem evaporitischen Karst und den Höhlen im Nordapennin erhältst du ganz neue Einblicke in eine hochspannende Region – und das lohnt sich mit Sicherheit.

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